Die Orchesterdirektorin der Jenaer Philharmonie Ina Holthaus ist mit ihrer Familie ausgewandert. Hier bei JenaKultur hat sie eine Neuaufstellung der Jenaer Philharmonie begleitet und vorangetrieben, hat für den Klangkörper gekämpft, besonders in der für das Orchester extrem einschneidenden Corona-Krise. In Finnland wird sie sich nun in neue, ganz andere Abenteuer stürzen.
Zum Abschied haben wir ihr einige Fragen über ihre Zeit bei der Jenaer Philharmonie, aber auch zu ihren Plänen im neuen Land gestellt:
Liebe Ina, bereits vor einem Jahr hast Du alle Deine Koffer gepackt und bist in den „hohen Norden“ nach Finnland ausgewandert. Es war für uns nicht so leicht, Deine Nachfolge an dieser sensiblen Stelle in der Orchesterdirektion der Jenaer Philharmonie klug zu regeln, und so bliebst Du uns, fast ein weiteres Jahr und im Wesentlichen coronakonform mit den unterdessen erprobten digitalen Tools beratend und steuernd und schlichtend und regelnd und übrigens auch ganz zu unserer Freude weiter erhalten. Manchmal hast Du in den Telefonkonferenzen Impressionen verschiedenster Art aus Deiner neuen Heimat eingestreut und so auch uns Hiergebliebenen zu neuen Blickwinkeln verholfen. Nun rückt der endgültige Abschied aber unweigerlich näher. Wir haben ein lachendes und ein weinendes Auge dabei. Das lachende, weil Du ein recht gut bestelltes Feld hinterlässt und wir obendrein mit Alexander Richter seit April eine würdige Nachbesetzung Deiner Stelle vornehmen konnten, ein weinendes, weil wir Dich dennoch vermissen werden.
Jedenfalls ist das alles Grund genug, mit Dir Deine „Jenaer Jahre“ noch einmal Revue passieren zu lassen.
Erzähle uns etwas darüber! Wie war das, als Du – noch ganz jung – 2018 anfingst? Woher kamst Du und was waren Deine ersten Befunde in Hinsicht auf die Jenaer Philharmonie im Besonderen und JenaKultur im Allgemeinen?
Ich war zuvor am Landestheater Coburg, dort gab es vor mir überhaupt keine Orchesterdirektion. Insofern habe ich auch dort schon einen Job übernommen, zu dem es keine Erfahrungen gab. Auf der einen Seite bedeutet das, dass man sich die Position ein wenig selbst zurechtbiegen kann, auf der anderen Seite steht man auch ganz vielen Kolleg:innen gegenüber, die froh sind, dass nun endlich jemand übernimmt, und man muss sehr vielen Erwartungen gerecht werden und manche auch enttäuschen. Aber in einer Theaterfamilie wie in Coburg ist es sehr einfach, seinen Platz zu finden.
In Jena schien die Situation zunächst ähnlich – und war dann ganz anders. Auch dieses Mal gab es die Stelle vorher nicht, ich sollte Stellvertreterin der Intendanz werden, und dann gab es, als ich zum 01.09.2018 die Stelle antrat, die Intendanz auch nicht mehr. Allerdings gab es nicht viel Gelegenheit, darüber nachzudenken. 2018 war bei der Jenaer Philharmonie eine Zeit, die von großen Veränderungen und neuen Möglichkeiten geprägt war. Simon Gaudenz hat seine erste Spielzeit umgesetzt, die neue CI[i] der Jenaer Philharmonie wurde eingeführt, das Saisonbuch erschien im neuen Design, der Große Saal im Volkshaus wurde, frisch renoviert, mit dem ersten Sinfoniekonzert der Saison wieder eröffnet. Viele neue Formate wurden eingeführt, ermöglicht durch die Förderung „Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland“ der Bundesregierung, und außerdem stand eine große Chinatournee unmittelbar bevor.
Ich habe damals einen großen Graben zwischen der Jenaer Philharmonie und dem Zentralbereich von JenaKultur wahrgenommen. Es gab wenig Kommunikation und manchmal sogar Misstrauen. Das war für mich damals etwas völlig Neues, ich hatte bisher immer erlebt, dass das ganze Unternehmen und alle Kolleg:innen füreinander einstehen und sich einander vertrauen können.
Was hast Du aus dieser Deiner Anamnese gemacht? Wer stand Dir zur Seite, um wichtige Prozesse in Gang zu setzen, den Prozess Zukunftskonzept etwa? Gab es Momente und Punkte, wo Du am liebsten resigniert hättest? Was waren im Gegensatz dazu die Sternstunden? Wie resümierst Du insgesamt die letzten fünf Jahre der Jenaer Philharmonie? Wo steht der Klangkörper heute? Ist er zukunftsfest genug?
Wie gesagt, viel Zeit nachzudenken gab es nicht. Es mussten einfach viele Dinge angepackt und organisiert werden, um die Konzerte umzusetzen, für die Chinatournee brauchten wir noch Visa für alle Kolleg:innen und Gutachten und Zertifikate für alle Instrumente etc. Ich habe mich tatsächlich wenig um die „Zukunft“ kümmern können in meiner ersten Spielzeit und habe die Gegenwart zusammen mit den Kolleg:innen in der Verwaltung übernommen. Jonas Zipf war in dieser Zeit mein wichtigster Ansprechpartner. Wir haben jeden Tag gesprochen oder zumindest per E-Mail kommuniziert. Ich habe ihm wahrscheinlich ziemlich viele Überstunden beschert, aber mit ihm gemeinsam habe ich mit der Zeit eine sehr gute Art der Führung der Jenaer Philharmonie entwickelt, und wir haben es, denke ich, auch geschafft, die Zusammenarbeit mit den anderen Bereichen von JenaKultur deutlich zu verbessern.
Jonas Zipf war es natürlich auch, der maßgeblich den Prozess zum Zukunftskonzept angetrieben hat. Für mich war das eine der „Sternstunden“ – auch wenn es lange Stunden waren und ja immer noch sind, da ja die Maßnahmen noch lange nicht alle umgesetzt und abgeschlossen sind. Aber diese Möglichkeit, dass die Probleme und Schwierigkeiten genau analysiert und beschrieben sind und aus dem inhaltlichen Anspruch die notwendigen Maßnahmen und Mittel abgeleitet wurden, ist für die Jenaer Philharmonie in meinen Augen eine riesige Chance. Man muss jetzt einfach erst mal dem Plan folgen – natürlich muss man evaluieren, hinterfragen und ggf. nachsteuern, aber mir hat es in den letzten Jahren viel Sicherheit gegeben.
Zeitpunkte, an die ich mich nicht so gern erinnere, sind natürlich Diskussionen zum Haushaltssicherungskonzept, in denen der Begriff „C-Orchester“[i] fiel. Aber gerade in solchen Momenten darf man natürlich nicht resignieren.
Ich bin froh, dass das Orchester nun nach der Pandemie wieder loslegen kann, mit Festabos, mit hoffentlich vollen Häusern und mit einem neuen Orchesterdirektor. Diese Krise hat das Orchester gut gemeistert und das macht sicherlich Mut für die Zukunft.
So ein Orchester ist ja ein sensibler hochkomplexer Organismus. Nicht wenige vor Dir haben da schmerzliches Lehrgeld bezahlt. Wie hast Du es geschafft (und Du hast es geschafft), bei allen Beteiligten Vertrauen zu gewinnen?
Ich freue mich, wenn Ihr das sagt, dass ich es geschafft habe. Denn das ist eigentlich genau das, was für mich die Grundlage einer Zusammenarbeit ist. Wenn ich jemandem eine E-Mail geschickt und ihn/sie gebeten habe, kurz bei mir vorbeizukommen, wurde das manchmal als „vor die Chefin zitiert“ interpretiert. Da habe ich mich jedes Mal fürchterlich erschrocken, das wollte ich nun überhaupt nicht. Ich möchte mich als ansprechbarer Teil des Orchesters und des Teams begreifen, ich brauche Menschen und Kolleg:innen um mich herum und ich habe nie verstanden, warum manche Orchesterdirektor:innen meinen, mit Orchestervorständen und –musiker:innen sollte man nur sehr vorsichtig kommunizieren. Wir wollen alle das Gleiche: Dass unser sehr gutes Orchester erfolgreiche Konzerte spielt. Und dafür sind wir alle – egal ob im Verwaltungsteam, im Orchester oder auch bei JenaKultur in allen unterschiedlichen Bereichen – mit verantwortlich. Ich begreife nicht, warum man dann Dinge nicht ehrlich und offen ansprechen können sollte, und nichts anderes habe ich gemacht. Ich bin allen Kolleg:innen, im und um das Orchester sehr dankbar, dass ich diese Art zurückgespiegelt bekommen habe. Es freut mich, dass ich mit vielen auch freundschaftliche Verhältnisse eingehen oder einfach abends zusammen eine Bier trinken konnte, und trotzdem wurde meine Autorität als „Chefin“ nie infrage gestellt.
Wie blickst Du auf diese bewegenden Jahre mit den besonderen Herausforderungen einer Pandemie mit Rückzug ins Virtuelle, mit Kurzarbeit und Ängsten zurück? Was gibst Du JenaKultur und der Jenaer Philharmonie mit auf den Weg?
Die Zeit ohne Konzerte war nicht schön. Ich habe meine Motivation für meinen Job immer daraus gezogen, dass ich dann die Musik auch genießen konnte, für die ich so viele Stunden gearbeitet habe. Das ging nicht mehr und plötzlich war die Arbeit nicht weniger, aber die „Belohnung“ fiel weg. Das machte das Kämpfen nicht einfacher, aber der Zusammenhalt zwischen den Einrichtungen von JenaKultur ist in dieser Zeit besser geworden, denke ich. Ich wünsche mir, dass das erhalten bleibt, gemeinsam sind Krisen einfach besser durchzustehen. Und wenn die Musik dann auch wieder zurückkommt, macht die Arbeit auch wieder richtig Spaß 🙂
Zu guter Letzt wollen wir ein bißchen neugierig sein. Deine Stelle bei der Jenaer Philharmonie war ja auch bei allen Herausforderungen, die sich damit verknüpften, so etwas wie ein Glücksfall, ein Traumjob, wenn man so sagen darf. Wir hatten immer das Gefühl, Du bist mit Herzblut dabei, bist angekommen irgendwie. Wer oder was konnte es denn schaffen, Dich „abzuwerben“? Was hast Du nun vor?
Es stimmt, ich war sehr gerne bei der Jenaer Philharmonie, aber ich bin wahrscheinlich nicht der Typ, der „ankommt“. Ich bin viel zu neugierig und will immer dazulernen. Während der Pandemie habe ich abends plötzlich Zeit gehabt und spontan beschlossen, eine Ausbildung zur Physiotherapeutin für Pferde und Hunde zu machen. Das hatte gar nichts mit großen zukünftigen beruflichen Plänen zu tun, aber dann habe ich angefangen, mit meinem Lebensgefährten, einem Hufschmied, zusammenzuarbeiten, und dann kam auch noch das Abenteuer Finnland dazu. Wir haben hier ein Haus gekauft und leben mit vier Pferden, Kind und Hund inmitten wunderschöner Natur. Der Plan ist nun, dass auch ich versuche, im Pferdebereich hier Fuß zu fassen – und wenn das nicht zu 100 % klappt, gibt es in Finnland weltweit die höchste Anzahl an Musikerstellen in Orchestern pro Einwohner 😉
Wir wünschen Dir, dass Du alles, was Du tust, mit Freude tust. Wir wünschen von Herzen alles Gute.
Onnea ja kaikkea hyvää – Kiitos paljon!
Der Traum vom Auswandern – hat der Sie auch schon mal gepackt, liebe Leser:innen? Wohin würde es Sie verschlagen? Und haben Sie noch gute Wünsche für Ina Holthaus?
Wir freuen uns wie immer auf Ihre Meinung in den Kommentaren.
[i] CI = Corporate Identity bezeichnet die Gesamtheit der Charakteristika einer Unternehmensmarke in ihrer Unternehmensphilosophie (Corporate Culture), ihrem visuellem Auftreten (Corporate Design) und ihrer Kommunikation (Corporate Communication)
[i] Profi-Orchester sind in Deutschland nach Güteklassen von A bis D eingeteilt. Die Jenaer Philharmonie ist mit 85 Planstellen ein B-Orchester. Ein C-Orchester hat 50 bis 65 Planstellen, alles darunter zählt zur Klasse D. Nach dieser Einteilung werden die Vergütungsgruppen für die Musiker:innen festgelegt.