Detlef Rinke geht in den Ruhestand
Seit über 40 Jahren unterrichtet Detlef Rinke im Fach Gitarre an der Musik- und Kunstschule Jena. Zum 1. September 2024 geht er in den wohlverdienten Ruhestand. Gemeinsam blicken wir auf sein erfolgreiches Berufsleben zurück.
Detlef, du hast mit 7 Jahren angefangen Gitarre zu spielen. Was hat dich an dem Instrument so fasziniert, dass es zu deinem Beruf wurde?
Ich wuchs in einer Familie auf, in der zu Familienfeiern und Weihnachten gemeinsam musiziert und gesungen wurde. Mein Vater spielte dabei Ziehharmonika und meine Mutter Blockflöte.
Wir wohnten in Cottbus, und als ich in die 1. Klasse ging, kamen eines Tages Lehrer:innen von der Musikschule in meine Klasse auf der Suche nach musikalischen Talenten. Ich war wahrscheinlich besonders für Saiteninstrumente geeignet, deshalb bot man mir an, Gitarre oder Geige zu lernen. Da mir damals schon die sogenannte Beatmusik gefallen hatte, war die Entscheidung schnell gefallen. Ich wollte Gitarre lernen, kurze Zeit später hat es auch geklappt. Eine Entscheidung, die ich nie bereut habe.
An der Musikschule gab es anfangs nur die Möglichkeit, klassische Gitarre zu lernen. Aber das war mir egal, ich war mit Freude dabei. Etwas später war mein Gitarrenlehrer Kurt Rotter. Er unterrichtete klassische und E-Gitarre. Außerdem leitete er eine Tanzmusikband, arrangierte und komponierte dafür. Für mich war das die Initialzündung. Der offene Umgang mit musikalischen Strukturen und der Einsatz von Tontechnik waren total mein Ding. Meine Eltern kauften mir eine E-Gitarre, und mit 14 Jahren spielte ich in meiner ersten Band. Wir gingen alle in die gleiche Schule. Unser erster großer Auftritt war ein Abschlussball einer Schule. Wir hatten vielleicht 10 Songs drauf. Als wir zum dritten Mal „Smoke on the Water“ von Deep Purple spielten, holten die Lehrer ein Kassettendeck, und wir mussten einpacken. Aber es war total cool, wir wurden trotzdem gefeiert. So fing mein Bandleben als Gitarrist und Bassist an, Musik wurde zu meinem Lebensmittelpunkt.
Wie war dein Weg zu uns an die Musik- und Kunstschule Jena, und seit wann bist du hier pädagogisch tätig?
Nach dem Abitur machte ich die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar Fachrichtung Tanz- und Unterhaltungsmusik, kurz TUM-Abteilung genannt.
Im Jahr 1979 – nach meiner Armeezeit – begann ich mit dem Studium. Mein ehemaliger Gitarrenlehrer Kurt Rotter war jetzt auch dort tätig und leitete das Ensemblespiel. Mein eigentlicher Gitarrenlehrer war Professor Thomas Buhe. Seine Gitarren-Schulen waren das Standardnotenmaterial für E-Gitarre/Plektrum-Gitarre in der DDR. Er vermittelte mir auch die Freude an der Didaktik. Deshalb beschloss ich, mein Studium zu beenden mit einem Abschluss als „Diplom-Musikpädagoge für Plektrum-Gitarre“.
Seit 1983 wohnte ich dann in Jena. Schon etwas früher spielte ich dort in einer Berufsband mit. Da ich auch Gitarre unterrichten wollte, arbeitete ich als Honorarlehrer an der Musikschule Stadtroda und deren Außenstelle Hermsdorf. Ein Jahr später kamen noch ein paar Unterrichtsstunden an der Volkskunstschule Jena dazu. Ab dem 01.01.1985 bekam ich dort eine Festanstellung, weil mein Vorgänger Helmut Pötsch zur Musikschule Weimar wechselte.
In deinem Job als Gitarrenlehrer hast du schon unzählige Schüler:innen auf Gitarre und Bass ausgebildet. Du hast in Deiner über 40-jährigen Berufslaufbahn erlebt, wie sich das gesellschaftliche System gewandelt hat. Kannst Du mir erzählen, wie sich in dem Zusammenhang deine Arbeit und insbesondere der Fachbereich Jazz/Rock/Pop an unserer Schule entwickelt hat?
Erstmal ist es wichtig zu erwähnen, dass die Musikschulen in der DDR vorrangig leistungsorientiert waren und besonders die Förderung von Talenten für eine spätere künstlerische oder pädagogische Berufslaufbahn als Aufgabe hatten. Und noch eine zweite wichtige Sache: Wollte man in der DDR als Musiker:in öffentlich auftreten, war dies nur mit einem Berechtigungsnachweis, einer sogenannten „Spielerlaubnis“ möglich.
Dieses Papier war in den Musikkreisen damals unter dem Namen „Pappe“ bekannt. Diese Spielerlaubnis konnte an eine Band/Kapelle gebunden sein und wurde im Rahmen eines Einstufungsvorspiels vergeben. Die gängigsten Einstufungen waren Grundstufe, Mittelstufe, Oberstufe und Sonderstufe. Nach diesen Einstufungen wurde die Vergütung pro Stunde geregelt. Diese Einstufungsnachweise konnten aber auch auf Grundlage der Abschlusszeugnisse von Musikschulen vergeben werden. Auf Antrag wurde dann eine allgemeine und unabhängige „Spielerlaubnis“ erteilt entsprechend der Stufe des Abschlusses.
Als ich hier im Jahr 1984 als Gitarrenlehrer für E-Gitarre startete, war der Standort der Volkskunstschule Jena (heute Musik- und Kunstschule Jena) Botzstraße 10 (Haus 1) und Botzstraße 9 (Haus 2). Es gab noch am Steiger ein Haus 3 für den Tanzunterricht. Es waren alles alte Villen.
Der Tanz- und Unterhaltungsmusikbereich war vorrangig im Haus 1 untergebracht. Zum Haus 1 gehörte ein kleiner Anbau, ein kleiner Raum mit Nachtspeicherofen. Dies war mein erster Unterrichtsraum – im Sommer schön warm und im Winter ziemlich kalt. Der Unterricht war grundsätzlich Einzelunterricht und 45 min lang. Der damalige Direktor Rolf Apel unterrichtete Saxophon und Keyboard, im Kellerbereich waren Schlagzeug und Ensemblespiel untergebracht. Auch für andere Instrumente und Gesang gab es Angebote in der Stilrichtung TUM. Ich glaube, ich war damals der einzige Lehrer mit Hochschulabschluss speziell für diesen Bereich. Die anderen Lehrkräfte besaßen oft eine klassische Ausbildung mit Bandspielerfahrungen oder spielten in Bands und unterrichteten zusätzlich.
Da ich schon vorher etwas Erfahrung im Unterrichten gesammelt hatte, fiel mir der Einstieg nicht so schwer. Von Beginn an waren auch Schüler:innen dabei, die ihre „Spielerlaubnis“ bekommen wollten. Es gab jedes Jahr ein Pflichtvorspiel, um den Leistungsstand zu überprüfen.
Ein paar Jahre später war mein Unterrichtsraum der ehemalige „Clubkeller“ im Haus 2 – ein großer Raum im Kellerbereich. Jetzt war es endlich möglich, das Equipment für Unterricht, Ensemble und Vorspiele ohne großes Umräumen unterzubringen. Das gab meinem Unterricht nochmal einen großen Schub nach vorne.
Im Jahr 1989 kam die politische Wende. Nach den ersten unsicheren Zeiten danach, es war eine Zeit der Richtungssuche, bildete sich nach und nach eine neue Struktur. Aus der Volkskunstschule Jena wurde die Musik- und Kunstschule Jena (MKS), der Fachbereich Tanz- und Unterhaltungsmusik (TUM) wurde zum Fachbereich Jazz/Rock/Pop (JRP).
Neben der weiter existierenden Förderung von Talenten auch für den künstlerischen Berufsnachwuchs, wurde das qualifizierte Anbieten eines breitgefächerten kulturellen Freizeitangebotes zu einer der Hauptaufgaben der Lehrtätigkeit. Eine öffentliche „Spielerlaubnis“ war schon längst nicht mehr nötig. Die Struktur des Unterrichts wurde flexibler. Die Schülerzahlen schnellten nach oben. Neue Räumlichkeiten wurden dringend benötigt.
Mit dem umzug der MKS im Jahr 2004 ins neue Gebäude in die Ziegenhainer Straße verbesserten sich auch die räumlichen Bedingungen für meinen Fachbereich.
Nach und nach wurden neues Equipment und neue Instrumente angeschafft und die Unterrichtsräume praxisnah ausgestattet. Sehr wichtig ist auch die gute Internetanbindung, da besonders die Musik im Jazz/Rock/Pop-Bereich viel über verschiedene Online-Plattformen geht.
Viele öffentliche Konzerte – auch fachübergreifend: 3 Big Bands, Bandkurse und ein sehr großes Unterrichtsangebot – zeigen, der Fachbereich ist voll auf der Höhe der Zeit. Ganz neu ist auch ab diesem Schuljahr das Angebot Musikproduktion / Elektroakustische Musik, welches Einblicke in moderne Produktions- und Aufnahme-Technik gibt.
Die hochqualifizierten Lehrkräfte sind der Garant für die hohe Qualität des Unterrichts auch für die zukünftigen Jahre. Es macht mich etwas stolz und froh, diese Entwicklung miterlebt und mitgestaltet zu haben.
Was waren die größten Unterschiede in deiner Arbeit vor und nach der Wende?
Neben den erwähnten Unterschieden kommt man heutzutage viel einfacher und besser an gutes Notenmaterial, gute Instrumente und Equipment heran. Damals musste z.B. auch bei Notenmaterial und öffentlichen Auftritten ein Verhältnis von 60% Ost und 40% West Musiktitel beachtet werden. Inoffiziell versuchten wir das zu umgehen.
Aber gravierende Unterschiede direkt beim Gitarren-Unterricht sehe ich eher nicht. Es war immer die Freude am gemeinsamen Musizieren auf dem Instrument, die den Unterricht geprägt hat. Ich versuchte immer, damals wie heute, ein gutes, entspanntes Lernklima zu schaffen.
Außerdem habe ich recheriert, dass du viele Jahre mit dem Kinder- und Jugendzirkus „Tasifan“ in Weimar zusammen gearbeitet hast. In Erinnerung geblieben sind mir auch deine Auftritte mit „Anatolis musikalischer Zirkus“ bei uns im Haus. Hast oder hattest Du noch andere Bands mit denen du lange zusammen musiziert hast?
Ich bin mein ganzes musikalisches Leben mehrspurig gefahren.
Schon als Kind habe ich versucht, gleichzeitig Gitarre zu spielen und zu singen. Nur Gitarre allein war mir auf Dauer nicht genug. So bin ich auch zur Bassgitarre gekommen. Damals spielte ich in meiner Heimatstadt Cottbus in einer Band mit, als plötzlich der Bassist aufhörte und kein Ersatz für ihn gefunden wurde. Ich übernahm die Aufgabe des Bassspiels, und ein Gitarrist war auch schnell gefunden als Ersatz für mich. Es hat viel Spaß gemacht. Dann ging das immer so weiter. Ich wollte nie nur unterrichten, aber auch nie nur unterwegs sein mit einer Band. Der Unterricht an der Musikschule war meine Erdung.
Am Zirkus war es die Verbindung der verschiedensten Genres, was mich besonders reizte. Dort passiert so viel Unterschiedliches gleichzeitig. Beim Kinder- und Jugendzirkus „Tasifan“ leitete ich die Zirkusband. Mit Musikschulkolleg:innen – wie bei „Anatolis musikalischer Zirkus“ – gemeinsam ein Projekt zu machen, ist immer schön. So spiele ich seit dem Jahr 1993 mit meinem MKS-Kollegen Klaus Wegener (Klarinette/Saxophon) und Kalle Schmied (Schlagzeug) – übrigens auch Musikschullehrer, aber im Saale-Holzland-Kreis – im Trio „Jezmer“ die Gitarre. Wir spielen zusammen eine Mischung aus Klezmer und Latin-Jazz.
Vor Jahren spielte ich lange Bassgitarre in der Fox Tower Bluegrass Band. Wir tourten durch die gesamte DDR, waren im AMIGA-Studio zu Aufnahmen und auch im TV zu sehen. Und im Jahr 1988 – ein Jahr vor der Wende – spielten wir im Rahmen der Städtepartnerschaft in Erlangen.
Gibt es Projekte, die dir in besonderer Erinnerung geblieben sind?
Es liegt zwar schon einige Jahre zurück, da war das Theaterhaus Jena für mich ein wichtiger Anlaufpunkt. Damals stand ein kleines Kammerstück auf dem Spielplan mit dem Namen „Fan Man“ mit dem Schauspieler Silvio Hildebrand. Ich verkörperte dabei einen coolen Blues- und Country Musiker, der lässig auf der Gitarre seine Sachen spielte. Mental befand ich mich dabei in den Südstaaten der USA.
Ein anderes außergewöhnliches Projekt gab im Sommer 2004. Ich leitete einen Musikworkshop für Bandarbeit in Abu Dhabi mit arabischen Jugendlichen. Es gab nur ein großes Problem. Keiner von diesen Jugendlichen sprach Englisch, ich nicht Arabisch, und es war sehr, sehr heiß…
Was einige der Kolleg:innen im Haus nicht wissen, ist, dass du auch als Musiktherapeut, u. a. bei der Elterninitiative für krebskranke Kinder Jena e.V., arbeitest. Wie kam es dazu bzw. was war deine Motivation dafür?
Ich empfand es schon immer faszinierend, was Musik bei mir selbst und anderen Menschen bewirken und auslösen kann. Man spürt den Drang nach Bewegung, Emotionen werden frei, längst vergessene Erinnerungen werden wieder wach. Anfang der 1990er Jahre nahm ich an einigen Musiktherapie-Workshops in Berlin und Weimar teil. Dieser andere Ansatz zur Musik interessierte mich so sehr, dass ich eine gezielte Ausbildung zum Musiktherapeuten begann. An der „Akademie für angewandte Musiktherapie Crossen“ unter der Leitung von Christoph Schwabe absolvierte ich eine dreijährige berufsbegleitende Ausbildung zum Sozialmusiktherapeuten des DMVO (=Musiktherapeutische Vereinigung Ost, Anm. d. R.).
Kurze Zeit nach dem Abschluss ergab sich die Möglichkeit, im Rahmen eines Projektes der Universität Jena, an einer Studie mit Schlaganfall-Patient:innen teilzunehmen. Einige Jahre arbeitete ich als Musiktherapeut mit Kindern und Jugendliche im Auftrag der „Elterninitiative für das seelisch erkrankte und verhaltensauffällige Kind Thüringen e.V.“
Auch aus privaten Gründen konzentrierte ich mich danach wieder mehr auf meine Lehrtätigkeit an der MKS und meine freiberuflichen Tätigkeiten als Musiker.
Vor einigen Monaten las ich eine E-Mail, dass die Elterninitiative für krebskranke Kinder e.V. einen Musiktherapeuten sucht. Ich spürte, es war genau der richtige Zeitpunkt, um meine Tätigkeit als Musiktherapeut wieder aufzunehmen.
In meiner Gitarrenzeit als Kind gab es ein Vorspiel an der Musikschule Cottbus. Wir waren drei gleichaltrige Schüler und ich spielte das mit Abstand leichteste Musikstück vor. Trotzdem erhielt ich von uns drei den meisten Beifall. Damals habe ich begriffen, nicht die Schwierigkeit eines Stückes entscheidet, viel wichtiger ist, dass beim Spielen das eigene Herz immer dabei ist.
Ich wünsche allen Kolleg:innen und Schüler:innen Gesundheit und weiter viel Freude bei allem, was noch kommt.
Lieber Detlef, nach vielen Jahren des inspirierenden Unterrichtens und der Hingabe zur Musik trittst du nun deinen wohlverdienten Ruhestand an. Deine Begeisterung für die Gitarre haben zahlreiche Schüler:innen geprägt und werden noch lange in unseren Herzen nachklingen. Für deinen neuen Lebensabschnitt wünschen wir dir alles Gute, Gesundheit und viele wunderbare musikalische Momente. Genieße die Jahre, in denen Du selbst entscheiden kannst, wann Du Pause machst und wann der Alltag beginnt.
Das Interview führte Katrin Paninski, verantwortlich für Projektmanagement und Öffentlichkeitsarbeit an der Musik- und Kunstschule Jena.