Wie Sie wissen, feiert die Musik- und Kunstschule (=MKS) Jena in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag. Über das ganze Jahr hinweg finden dazu besondere Veranstaltungen statt, manches Format ist neu, wie etwa die Projektwoche im April, über die wir an dieser Stelle bereits berichtet haben. Außerdem dachten wir uns, zu einem solchen denkwürdigen Anlass befragen wir einmal Wegbegleiter:innen, Politiker:innen, Ehemalige… nach ihrer Meinung: zur Einrichtung selbst, aber auch zur Bedeutung von Kultureller Bildung generell. Aus den Antworten wollten wir eigentlich einen kleinen Zusammenschnitt machen. Aber wir sind so gerührt und vor allem begeistert, was uns da geschrieben wurde, dass wir entschieden haben, nichts zu kürzen, sondern Ihnen alle Statements komplett zu präsentieren. Den Auftakt bildet heute Friedrun Vollmer, langjährige Direktorin der Einrichtung, nämlich von 2006 bis 2018, und nun designierte Werkleiterin von JenaKultur mit dem Schwerpunkt Kulturelle Bildung und Kulturentwicklung. Wir hatten auch ihr ein paar Fragen gestellt. Lesen Sie hier Ihre Antworten.
Friedrun, Du hast die Musik- und Kunstschule ab 2006 erfolgreich im Eigenbetrieb JenaKultur positioniert:
- Was waren die herausragenden Meilensteine in der Entwicklung der Einrichtung in der Zeit Deiner Leitungstätigkeit?
- Welche Wünsche blieben offen?
75 Jahre Musik- und Kunstschule Jena: das heißt für Generationen Bereicherung ihres Lebens. Wer Unterricht im Erlernen eines Instrumentes, des Gesangs oder in den darstellenden oder bildnerischen Künsten nimmt, verfeinert die eigene ästhetische Wahrnehmung, lernt zuzuhören und hinzuschauen, mit anderen zusammenzuspielen oder ihre/seine Emotionen auszudrücken und wird es dann auch in anderen Lebensbereichen tun. Das kann erfüllend sein, Selbstvertrauen stärken und glücklich machen.
Ich selbst darf mich zu den solcherart Beschenkten zählen, denn die Auseinandersetzung mit der Musik und auch die Berührungen mit der Musik- und Kunstschule Jena (MKS) ziehen sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Schon als Kleinkind war ich Schülerin in dem neu eingerichteten Kurs der Musikalischen Früherziehung – damals noch in der Volkskunstschule in Haus 3 am Steiger – und im Verlaufe der kommenden musikalischen Ausbildungsjahre gefühlt mehr in der Musikschule als zuhause. Später kam ich als Geigen- und Orchesterlehrerin an das Haus zurück und übernahm von 2006 bis 2018 die Leitung der MKS. Dadurch ist meine Gratulation zum Jubiläumsjahr der Musik- und Kunstschule Jena auch eine sehr persönliche, fühle ich mich doch der Institution quasi schon lebenslang verbunden.
Und nun wird bald ein neues Kapitel aufgeschlagen, wenn ich ab Oktober 2023 als Werkleiterin JenaKultur/Kulturelle Bildung und Kulturentwicklung wiederum auch für die Musik- und Kunstschule zuständig sein werde.
Wenn wir mit Stolz von der Musik- und Kunstschule Jena als dem größten außerschulischen Bildungszentrum Thüringens für den musikalischen und künstlerischen Bereich mit über 3.200 Schüler:innen sprechen, zeigt dieses die Entwicklung auf, die die ehemalige Volkskunstschule Jena in den letzten Jahrzehnten genommen hat.
Ich leitete ab 2006 die Musik- und Kunstschule Jena in Nachfolge von Dorothee Gommel. Ihr war es zu verdanken, dass die räumlich bedrängte Situation in der Botzstrasse durch den Umzug in das neue Domizil an der Ziegenhainer Strasse mit der genialen Lösung von zwei Konzertsälen auf dem Dach einer ehemaligen schule aufgelöst werden konnte und erstmalig alle Sparten der MKS ausreichend Platz fanden.
Ich habe es immer als Geschenk empfunden, gemeinsam mit dem Kollegium die neue räumliche Offenheit mit einer inhaltlichen Weiterentwicklung der Musikschulangebote sowohl in der Breite als auch in der Spitze verbinden zu können. Mit dem neu geschaffenen Kursbereich (nach dem Vorbild der Westfälischen schule für Musik Münster, deren Leitung ich später übernahm), und den zahlreichen Kooperationen mit allgemeinbildenden schulen in Musikalisierungsprogrammen wie „Musik & Bewegung“, „JeKiss“ = „Jedem Kind seine Stimme“, Bandunterricht, Instrumentenkarussell, in der Zusammenarbeit mit Kindergärten, Vereinen oder ab dem Jahr 2015 auch Flüchtlingsinitiativen wurde eine enorme Innen- wie Außenwirkung erzielt. Die Kooperation mit allgemeinbildenden schulen wie der Jenaplan-schule oder dem Kulturanum, war für beide Seiten eine herausfordernde, aber auch bereichernde Ergänzung.
Ein Alleinstellungsmerkmal waren auch die multimedialen Jahresproduktionen wie „Schillers Räuber- Rap’n Break Dance Opera“ 2009/2010, „Undine“ 2015, „Adern von Jena“ 2017 oder „Fremde Heimat“ 2017, die durch die Ausrichtung der MKS als „Mehr-Sparten-Kunstschule“ mit Musik, Kunst, Tanz und Schauspiel ermöglicht wurden: Hier haben wir im Kollegium gemeinsam ein Thema entwickelt, das Storyboard geschrieben, überlegt, wie welche Ensembles in die künstlerische Umsetzung einbezogen werden können, mit welchen Kooperationspartnern (wie z.B. dem Theaterhaus Jena oder dem Kinder- und Jugendzirkus MoMoLo) die Zusammenarbeit erfolgreich ist und zudem auch Spaß macht, welche Fördermittel zur Realisierung gefunden werden müssen und wie wir alles außerdem in vernünftigen Probenstrukturen bringen, die weder unsere Kolleg:innen noch die Familien der beteiligten Schüler:innen an den Rand der Verzweiflung bringen würden.
Aber es gab auch all die Wettbewerbserfolge unserer Schüler:innen, Bands und des Jugendorchesters: Hier konnte immer wieder der hohe künstlerische wie pädagogische Selbstanspruch erfolgreich bewiesen werden. In die Zeit meiner Leitungstätigkeit fiel die (Wieder-) Einführung des Innerschulischen Wettbewerbes oder auch das – über den Landesverband der Thüringer Musikschulen initiierte – Thüringer Begabtenförderprogramm oder die Klavier- und Kammermusiktage: alles unterstützt bis heute besonders musikalisch begabte Kinder und Jugendliche auf dem Weg ihrer Ausbildung.
Dabei sind wir nicht im „Elfenbeinturm“ oben in der Ziegenhainer Strasse geblieben, sondern haben neue Spielstätten und Ausstellungsflächen im Stadtgebiet und darüber hinaus erobert oder und an Konzertreihen wie „Musikschulen öffnen Kirchen“ in den Dörfern rund um Jena teilgenommen oder sind auf Gastspiele und Jugendbegegnungen in Jenas Partnerstädte oder zu internationalen Festivals gefahren. Auch das AGB-Orchester (Akkordeon-Blockflöten-Gitarren) ist in seiner Form deutschlandweit einmalig.
Wie konnte das alles gelingen?
Zum einen ist das außergewöhnliche Kollegium mit großartigen Künstler:innen und Pädagog:innen zu nennen, das durch gemeinsamen Austausch und künstlerische Befruchtung immer wieder Neues hat Gestalt werden lassen. Solch ein Kollegium leiten und führen zu dürfen war ein großes Privileg, und ich bin mir dessen immer bewusst gewesen.
Zum zweiten sind auch das Klientel der Eltern, die oft selbst als Kinder an der ehemaligen Volks- und späteren Musik- und Kunstschule ausgebildet wurden und uns später ihren Nachwuchs anvertraut haben, sowie die Zusammenarbeit vor allem mit den allgemeinbildenden schulen in Jena ein Besonderes: Hier treffen intellektueller Anspruch, Pragmatismus und kulturelle Sehnsucht aufeinander.
Zum dritten ist aber auch die verlässliche Unterstützung durch die Vertreter:innen der Stadtpolitik und Einbettung in den Eigenbetrieb JenaKultur immer ein finanzieller wie politischer Stabilitätsfaktor gewesen, der darüber hinaus weitere Synergien mit den anderen kulturellen Bildungsträgern in Jena wie der Ernst-Abbe-Bücherei, der Volkshochschule, der Kulturarena den Städtischen Museen oder der Jenaer Philharmonie „auf kurzen Wegen“ ermöglichte.
Andererseits hatten wir auch keine andere Wahl: Als „freiwillige kulturelle Leistung“ der Kommune in Zeiten zunehmender Liberalisierung und Globalisierung waren jahrelange Selbstverständlichkeiten genau eben diese nicht mehr, wir fanden uns wieder in einem breiten Feld von Wettbewerbern und sahen uns als kulturelle Einrichtung zunehmend in einem finanziellen Rechtfertigungsdruck und der Forderung nach Optimierung und Effizienzsteigerung ausgesetzt. Wir MUSSTEN uns beweisen!
Bei meinem Abschied von Jena vor 5 ½ Jahren habe ich drei große Leitfragen für die Zukunft der Musik- und Kunstschule Jena entwickelt:
Was ist der Beitrag der Musikschulen zu Integration, insbesondere der zu uns gekommenen Geflüchteten, und zur Inklusion?
Wichtig war mir hierbei, das Potential von kulturellen Bildungsprozessen für die Entwicklung von Strategien der sozialen Inklusion und der kulturellen Vielfalt zu erschließen und zu nutzen – und nicht im Sinne einer Einbahnstrasse der Integration der neuen Mitbürger:innen in die deutsche Gesellschaft und Kultur, sondern als ein gegenseitiges Aufeinander-Zugehen und die Erweiterung des kulturellen Horizontes und der Toleranz bei allen Bürger:innen.
Wie stellen sich Musikschulen den Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft?
Diese von mir vor dem „Digitalisierungs-Booster“ Corona-Pandemie aufgeworfene Frage gewann ich aus der Überzeugung, dass es für den Organismus Musik- und Kunstschule überlebensnotwendig sei, sich mit den „Chancen und Risiken“ der inzwischen alles durchdringenden Digitalisierung des Lebens und ihrer Relevanz für den Instrumentalunterricht zu beschäftigen und auszuloten, wie umfassend Apps und Online-Tutorials das generationsübergreifende Mit-und-Voneinander-Lernen beflügeln können – ohne die analoge Begegnung abzuwerten.
Wie können wir die Zukunftsfähigkeit der Musikschulen sichern?
Für die umfassenden Aufgabenfelder braucht eine Musikschule gut ausgebildete und motivierte Fachkräfte. Gleichzeitig muss das System Musikschule auf veränderte Schulsituationen und damit verbundenes Freizeitverhalten eingehen. Durch Sparrunden der öffentlichen Haushalte sind in der Vergangenheit viele Arbeitsplätze an Musikschulen verloren gegangen. Der aber gleichzeitig gestiegene Bedarf an Unterricht konnte nur durch den Einsatz von freien Mitarbeiter:innen bewältigt werden, indem diese erheblich unter Tarif bezahlt wurden und werden. Dadurch ist die Attraktivität des Berufsfelds Musikschullehrer:in so weit gesunken, dass es immer weniger junge Menschen gibt, die sich für diesen Beruf ausbilden lassen wollen. Wir sehen also, dass es mittelfristig zu wenige qualifizierte Kräfte geben wird, die diese für die Gesellschaft anerkannt wichtige Bildungsarbeit durchführen können.
Mit dem inzwischen gewonnenen Abstand zur MKS kann ich erfreut feststellen, dass hier – insbesondere in den Jahren der Leitungstätigkeit von Yvonne Krüger – richtige Meilensteine genommen wurden: Die den Kulturbetrieb lähmende Corona-Zeit wurde genutzt für Entschlackung und Modernisierung der Räume, für den Aufbau eines technisch-pädagogischen Equipments zur Realisierung von Distanzunterricht, für die Entwicklung neuer, strahlkräftiger Angebote und die Erschließung neuer Zielgruppen. Auch der Generationswechsel im Kollegium scheint zu gelingen (und beweist nach wie vor die Attraktivität, an der MKS zu arbeiten): Etliche neue Instrumental- und Gesangspädagog:innen haben den Staffelstab aus den Händen der ausgeschiedenen Kolleginnen und Kollegen übernommen und führen deren Arbeit auf hohem künstlerischem Niveau fort.
Ein großartiger Erfolg ist auch das neue, 2023 implementierte Thüringer Musik-und-Kunstschul-Gesetz, das einem warmen Regen gleich die finanziellen Mittel für die Einrichtungen für Festanstellungen bringt. Neben allen damit verbundenen bürokratischen und rechtlichen Hürden gibt dies die Chance, Musikschularbeit auch in Zukunft verlässlich und stabil zu gestalten und den Mitarbeitenden eine auskömmliche und sichere Beschäftigung zu garantieren. Und auch die Honorare für die freien Mitarbeitenden konnten angehoben werden. Hierfür möchte ich allen Beteiligten, insbesondere aber dem Landesverband der Musikschulen Thüringen, der aktuellen Werkleitung und Personalorganisation von JenaKultur und vor allem auch Yvonne Krüger meine herzlichen Komplimente und auch meinen Dank als ehemalige Landesvorsitzende des VdM Thüringen aussprechen.
Ich wünsche uns allen miteinander eine glänzende und klingende Zukunft, einen erfolgreichen Verlauf der zweiten Hälfte des Jubeljahres und ein neues Kapitel inspirierender Zusammenarbeit!
Am 15. September setzen wir die Gratulationscour zum 75. Jubiläum der Musik- und Kunstschule an dieser Stelle fort. Lassen Sie sich das nicht entgehen und teilen Sie auch gern noch ihre eigenen Erlebnisse und Erfahrungen beim künstlerisch Produktivsein mit.
Anm. d. Red.: Bekanntlich muss man ja immer flexibel bleiben, daher erscheint der Folgebeitrag mit den Stimmen unserer Gratulant:innen bereits am 1. September 2023. 😉 Schauen Sie doch mal rein!