Vom Buchbehälter zum lebendigen Ort von Kultur, Bildung und Begegnung
Das neue Jahr beginnt für die Ernst-Abbe-Bücherei Jena (EAB) mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn dieses Jahr ist für die EAB in zweifacher Hinsicht sehr besonders. Aufgrund der Corona-Pandemie ist momentan noch nicht an einen Normalbetrieb der Bibliothek zu denken und so wird das Jubiläumsjahr der EAB wohl etwas anders ablaufen als ursprünglich geplant. Den 125. Geburtstag der Ernst-Abbe-Bücherei Jena in diesem Jahr wollen wir zum Jahresbeginn als Anlass nehmen, auf die wechselvolle Geschichte und die Entwicklung der Bibliothek zurückzublicken.
Im Jahr 1895 fassten hochrangige Persönlichkeiten wie Eduard Rosenthal, Hermann Zeiss (Neffe von Carl Zeiss) und Ernst Abbe, später Namensgeber der Bücherei, den Entschluss zur Errichtung einer Öffentlichen Lesehalle. Ein Jahr später konnte die Lesehalle bereits eröffnet werden und avancierte zu einer Modelleinrichtung des deutschen Bibliothekswesens. Als Auftrag der Bibliothek wurde bereits damals formuliert:
„Betätigung in gemeinnützigen Einrichtungen und Maßnahmen zugunsten der arbeitenden Bevölkerung Jenas und seiner nächsten Umgebung, sowie Beförderung gewerblicher Fortbildung, allgemeinbildender Belehrung und geistiger Anregung“.
Die Geschichte der Lesehalle und der späteren Ernst-Abbe-Bücherei ist eine Geschichte von Blütezeiten und Krisenbewältigung. Eine erste Blütezeit erlebten Lesehalle und Leihbücherei vom Einzug in den Ostflügel des Volkshauses 1902 bis zum Beginn des 1. Weltkrieges. Schwer getroffen vom Krieg konnte eine Schließung 1923 nur knapp verhindert werden. Trotz restriktiver Bibliotheksregelungen auf der Grundlage der nationalsozialistischen Ideologie gelang dem damaligen Büchereileiter und Leiter der Thüringischen Landesstelle für volkstümliches Büchereiwesen Joseph Caspar Witsch 1937 eine Modernisierung der Bücherei.
Zum Ende des 2. Weltkrieges wurde die Bibliothek im Volkshaus von Bomben getroffen und damit Teile des Bestandes zerstört. Witsch versuchte zwischen 1945 und 1948 die Ernst-Abbe-Bücherei weiter zu modernisieren und zu reformieren, wodurch er in zunehmende Konflikte mit der SMAD und der Thüringer Landesregierung geriet.
In der DDR wurde die Bücherei im Volkshaus wieder aufgebaut, Zweigstellen in verschiedenen Stadtgebieten etabliert sowie eine Kinder- und Jugendbücherei, eine Musikbücherei und eine Artothek. Besonders in den 1970er und 1980er Jahren konnten Bücher angeschafft werden, die nur aus Alibi-Auflagen erschienen. Es wurden Schriftsteller:innen eingeladen, die über Themen schrieben, die in der Öffentlichkeit tabu waren.
1991 wurde die Bibliothek gemeinsam mit anderen Einrichtungen der Carl-Zeiss-Stiftung in Trägerschaft der Stadt Jena übergeben, die bis zu diesem Zeitpunkt eine Kinderbibliothek mit einem gut ausgebauten Zweigstellensystem unterhielt. Beide Bibliotheken waren von da an als nachgeordnete Einrichtungen dem Kulturamt der Stadt Jena unterstellt. Die Fusion beider Bibliotheken zur Stadtbibliothek wurde 1993 beschlossen und realisiert.
Ab November 1994 unterhielt die Stadt Jena eine gemeinsame Hauptbibliothek für Nutzer aller Altersgruppen im Volkshaus und zwei Stadtteilbibliotheken in den Wohngebieten Nord und Lobeda-Ost. Seit 2005 gehört die Ernst-Abbe-Bücherei gemeinsam mit anderen städtischen Kultur- und Bildungseinrichtungen und Bereichen zum Städtischen Eigenbetrieb JenaKultur. Unmittelbar nach seiner Gründung wurde JenaKultur mit der Forderung nach umfangreichen Einsparungen konfrontiert. Aus diesem Grund hatte die Bibliothek im Juni 2005 die kleinere der beiden Stadtteilbibliotheken in Jena-Nord zu schließen.
Mit der Zugehörigkeit zu JenaKultur haben sich die Rahmenbedingungen der Bibliotheksarbeit deutlich verbessert: größere Selbständigkeit und damit Verantwortung für Budget und Aufgabenstellungen haben deutliche Auswirkungen auf Flexibilität, Kundenorientierung und wirtschaftliches Denken. 2005 wurde die Bibliothek für ihr Konzept der „vernetzten Bibliothek“ mit dem Thüringer Bibliothekspreis ausgezeichnet.
Der Einsatz der RFID-Technologie an beiden Bibliotheksstandorten wurde 2006 beschlossen, um alle Medien elektronisch zu sichern und die Voraussetzung für die Selbstverbuchung zu schaffen. Im Ergebnis wurden Öffnungszeiten erweitert, Zeit für die bessere Betreuung der Jenaer schulen gewonnen und die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbessert. Auch das Bibliotheksprojekt, das „Netzwerk Schule und Bibliothek“ („SchuBiNet“) hat sich seit 2006 erfolgreich in der Jenaer Bildungslandschaft etabliert.
Im Sommer 2019 hat die Ernst-Abbe-Bücherei Jena ihren historischen Standort im Volkshaus verlassen und ein Zwischenquartier in der ehemaligen Augenklinik bezogen, bis 2023 der Neubau der Bibliothek am Engelplatz fertiggestellt wird.
Die Bibliothek ist längst nicht mehr ein im ursprünglichen Sinne des griechischen Wortes zu verstehender „Buch-Behälter“. Neben den unterschiedlichen Medien spielen vor allem die Entwicklungen und damit einhergehend die Erweiterungen des Angebotes im digitalen Bereich eine entscheidende Rolle. Durch verschiedene Veranstaltungsformate wie Vorträge, Diskussionsrunden, Lesungen und Spielnachmittage für alle Altersgruppen hat sich die Bibliothek – wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht – zu einem lebendigen Ort von Kultur, Bildung und Begegnung weiterentwickelt. Die Bibliothek als dritter Ort soll auch im 2023 fertiggestellten Neubau der Ernst-Abbe-Bücherei weiterentwickelt werden. Ziel ist es, entsprechend des Ursprungsgedankens der Gründerväter der Bibliothek ein lebendiges, attraktives und nutzer:innenfreundliches Bildungs- und Kulturzentrum, einen Ort der Begegnung und der Kommunikation zu schaffen.
Und Sie? Sind Sie Nutzer:in der EAB? Falls ja, was gefällt Ihnen besonders? Was vermissen Sie? Wie immer freuen wir uns, mit Ihnen in den Austausch zu treten! Fühlen Sie sich frei zu kommentieren…