Preisgekrönter Dirigent, Naturfreund, zukünftiger Jenaer, im Herzen aber immer noch Schweizer: Das ist Simon Gaudenz, designierter Generalmusikdirektor der Jenaer Philharmonie. Im Interview spricht er über seinen ersten Besuch in Jena, seine Erwartungen und Pläne und erklärt, warum Krawatten in seiner Philharmonie nicht sein müssen.
Die Erwartungen an Sie sind hoch, Herr Gaudenz. Was ging Ihnen denn vor dem ersten Auftritt als designierter Generalmusikdirektor durch den Kopf?
Sehr viele Dinge. Ein Punkt war zum Beispiel: Werde ich das Orchester in derselben Form und Qualität antreffen, wie bei meinem Konzert im April 2017? Da wurde ein ganz anderes Repertoire gespielt und man merkt erst nach einer gewissen Zeit, wie man ein Orchester einordnen kann. Aber es war schon nach der ersten Probe klar, wo wir anknüpfen konnten: bei dieser hohen Qualität, bei der Aufmerksamkeit und der Spielfreude. Das gibt mir für meine Aufgabe auch am meisten Motivation – der Enthusiasmus auf der Bühne und hinter den Kulissen, die Aufbruchsstimmung, dass etwas Neues erwartet wird, was ich natürlich gerne erfüllen möchte.
Was ist für Sie die größte Herausforderung am neuen Job in Jena?
Wenn wir den Vergleich zu einem Edelstein ziehen, dann muss der geschliffen werden, damit er in dem Glanze erstrahlt, den er wirklich verdient. Die Qualität des Orchesters und seiner Musiker ist außerordentlich – nur muss diese Stärke noch präsenter werden. Die Philharmonie soll viel mehr als das wahrgenommen werden, was sie bereits ist: ein Orchester für die ganze Stadt, ihre Bürger und natürlich – ihre Gäste.
Wie möchten Sie das Orchester präsenter machen?
Es ist natürlich ein Ziel, die Menschen zu uns ins Volkshaus zu bringen. Aber das kann nicht mehr der einzige Schritt sein. Wir müssen auch aktiv auf die Menschen zugehen. Herausfinden, wohin sie gerne gehen und sie dort abholen. Das heißt: Die Universität sollte mehr einbezogen werden oder etwa das Volksbad. Wir müssen unsere Kooperation mit der großartigen Kulturarena ausbauen oder einfach auch Orte neu erschließen, an denen man uns bis jetzt überhaupt nicht erwartet. Das Orchester kann auch in kleinerer Besetzung spielen oder mit kürzeren Formaten auftreten.
Konzerte müssen nicht immer zwei Stunden dauern und man muss nicht mit Krawatte, Schlips und Anzug ankommen.
Es gibt da immer noch eine Hemmschwelle und die möchte ich gerne abbauen.
Welche musikalischen Ideen möchten Sie gerne verwirklichen?
Ich denke an ein gewisses Sehnsuchtsrepertoire. Also eine Auswahl an Werken, die für viele Leute überhaupt der Grund für einen Konzertbesuch sind. Das sind Stücke, die sie kennen und lieben. Und die Aufgabe ist es dann, die Besucher außerdem mit selten gespieltem Repertoire zu überraschen.
Lichtstadt, Schiller, Zeiss,… das sind Namen und Begriffe, die man sofort mit Jena verbindet. Kann Jenas Musikszene da mithalten?
Kommt darauf an, was man unter „Mithalten“ versteht. Eine Aufgabe wird sein, Jena noch mehr als Kulturstadt zu transportieren, damit es nicht immer diesen Vergleich mit Weimar gibt: Dort ist die Stadt der Kultur und hier haben wir die Stadt der Wissenschaft und Technik. In Jena passiert sehr viel auf musikalischer und kultureller Ebene. Nicht nur im klassischen Bereich.
Beispielsweise habe ich neulich einen wunderbaren Abend bei „Theater in Bewegung“ verbracht. Ein kleines, aber großartiges Tanztheater-Festival, welches man mit dieser Qualität eher in Städten wie Berlin erwartet. Auf jeden Fall bin ich sehr neugierig auf die vielen potentiellen neuen Partner und Kollegen aus Jenas Kulturszene.
Was macht für Sie den Reiz aus, gerade in Jena Generalmusikdirektor zu sein?
In allererster Linie sind es die Musikerinnen und Musiker. Schlussendlich macht man ja mit Menschen Musik. Wir spielen für die Menschen, aber wir spielen auch mit Menschen zusammen. Das Potenzial, die Spielfreude und die hohe Qualität, die dieses Orchester schon hat, das hat mich überzeugt. Ich sehe auch sehr viel Potenzial, Dinge zu schaffen, die noch nicht da sind. Flexibel sein, zu den Menschen gehen – da bieten sich viele Möglichkeiten, weil nicht alles bis ins kleinste Detail ausgeplant ist. Es ist ganz viel in Bewegung. Junge Leute bringen das ja meistens schon mit sich, auch den Hunger und den Willen und die Lust, etwas zu verändern.
Hatten Sie schon Zeit, die Stadt ein wenig zu erkunden? Gibt es bereits ein Lieblingsviertel?
Im Moment ist die Innenstadt mein Lieblingsviertel. Die Wagnergasse, das Theaterhaus. Ich denke, ich entdecke die Stadt jetzt nach und nach. Wenn ich bisher in Jena war, lag der Fokus auf Planung, Arbeit, Konzerten und auf Proben. Um mir Jena näher zu bringen, möchte ich es mit Menschen von hier erkunden. Vielleicht hat auch der eine oder andere Musiker mal Lust, mir schöne Flecken, Orte und natürlich Geheimtipps zu zeigen.
Wie finden Sie privat einen Ausgleich zu Ihrem arbeitsintensiven Alltag?
In der Natur. Jena ist erfreulicherweise landschaftlich ein bisschen ähnlich wie meine Heimatstadt Basel. Stadt und Natur haben eine große Nähe zueinander. Hier fließt auch ein Fluss, die Saale, durch die Stadt, der natürlich nicht so groß wie der Rhein ist, aber es herrscht doch ein ähnlich mildes Klima. So gesehen fühle ich mich hier ganz wohl. Richtig zur Ruhe komme ich in den Bergen und das sind dann doch die Schweizer Berge. Da ist natürlich als Schweizer ein bisschen Nationalpatriotismus dabei, aber das ist einfach etwas Besonderes, dort fühle ich mich zuhause. Aber vielleicht werden auch die Höhen der Saale-Horizontale mein neuer Sehnsuchtsort in Jena.