I.III »Vater« der Thüringer Verfassung
Die Verfassung ist Zeugnis seiner Visionen über eine intakte demokratische Staatsarchitektur, die Rosenthal nicht nur als Politiker zu verfechten, sondern zugleich als Staatsrechtler juristisch zu formen wusste. Zweifelsohne zählen seine Bemühungen um eine Einigung der thüringischen Einzelstaaten am Ausgangspunkt der parlamentarischen Demokratie in Deutschland zu seinem größten politischen Vermächtnis.
Rosenthal hatte sich bereits seit 1916 vehement dafür eingesetzt, dass sich die Thüringer Kleinstaaten zu einem Einheitsstaat zusammenschließen. Bereits ein Jahr später soll Rosenthals Vision eines geeinten Thüringer Staates seiner Realisierung einen bedeutenden Schritt näherkommen. Im November 1917 bringt er im Weimarischen Landtag einen richtungsweisenden Antrag ein, der auf die Vereinheitlichung von Gesetzgebung und Verwaltung in den thüringischen Staaten abzielt. Der Antrag wird fast einstimmig angenommen. Am Karfreitag 1919 versammeln sich die Präsidenten der thüringischen Landtage in Jena und beschließen, dass der von Carl von Brandenstein entworfene Gemeinschaftsvertrag die Grundlage zum Zusammenschluss der thüringischen Kleinstaaten zum Freistaat Thüringen bilden soll. Die Gemeinschaft der thüringischen Staaten beruft daraufhin einen Staats- und einen Volksrat, die die Verschmelzung der thüringischen Staaten vollziehen. Der Staatsrat beauftragt Rosenthal mit der Erarbeitung einer Verfassung für das neue Land Thüringen, wozu der Volksrat am 23. Januar 1920 einmütig seine Zustimmung erteilt.
Für die anspruchsvolle Aufgabe der Konzeption einer intakten Verfassung ist Eduard Rosenthal die erste Wahl: Als Abgeordneter des weimarischen Landtags verfügt er über vielfältige praktisch-politische Erfahrungen und als Rechtshistoriker und Staatsrechtler kennt er das Verfassungsrecht in Geschichte und Gegenwart genau. So avanciert Rosenthal zu einer zentralen Figur der politischen Einigung der Thüringer Staaten. Er ist in der Lage, in kurzer Zeit einen Verfassungsentwurf zu unterbreiten, der zum Grundgesetz aller Menschen in Thüringen wird. Am 12. Mai 1920 wird sein Verfassungsentwurf als vorläufige Verfassung des Freistaats Thüringen verkündet. Mit den wesentlichen verfassungsrechtlichen Prinzipien seiner Arbeit, die auch heute noch tragende Säulen der Thüringer Verfassung sind, gilt Rosenthal heute gemeinhin als »Vater« der Thüringer Verfassung.
Aus der Rede Rosenthals vor dem Volksrat zur Begründung des Verfassungsentwurfs Als Text lesen
Aus der Rede Rosenthals vor dem Volksrat zur Begründung des Verfassungsentwurfs
Meine Herren!
Früher, als wir noch vor kurzem zu hoffen wagen durften, ist die Geburtsstunde des neuen Thüringen herangerückt. Unsere Aufgabe ist es heute, diesem neuen Staate das Fundament zu sichern, das Fundament einer neuen volksstaatlichen Verfassung. Wenn solch ein wichtiger zukunftsreicher Schritt in der Geschichte des Landes getan wird, dann liegt es auch nahe, mit einigen kurzen Worten sich geschichtlich zu versenken in die Vergangenheit. Und da ist es gerade für die, die dem künftigen Volksstaate mit voller, innerer Sympathie angehören, notwendig, daß sie sich erinnern, was die Vergangenheit dieses Landes bedeutet hat. Meine Herren! Wenn wir die Kultur des deutschen Volkes durchgehen, dann finden wir, daß in der Vergangenheit auch Thüringen, durch einsichtige Fürsten gefördert, Hervorragendes geleistet hat. Ich darf daran erinnern, meine Herren, daß kurz nach dem Dreißigjährigen Kriege Herzog Ernst der Fromme von Gotha es war, der gewissermaßen das Vorbild einer modernen Territorialverfassung geschaffen und weit über Deutschland hinaus dadurch segensreich gewirkt hat, daß er den Gedanken der allgemeinen Schulpflicht durchgeführt und damit die Grundlage zur Bildung Deutschlands mit gelegt hat. Und wenn wir uns hier in Weimar bewegen, dann sind es auf Schritt und Tritt die Erinnerungen einer großen Vergangenheit, einer großen Vergangenheit, die uns zeigt, wie einst dieses kleine Weimar die Blicke der ganzen Welt auf sich zog und wie hier von Weimar aus, dank der Anregung und der verständnisvollen Mitwirkung eines großen Fürsten, des Herzogs Carl August, es gelungen ist, die hehrsten und höchsten Geister des deutschen Volkes in diesem kleinen Orte zu versammeln, die von hier aus die Ideale der Humanität der ganzen Menschheit predigten. Wenn wir dann weiter in die neue Zeit uns versenken, dann müssen wir auch dankbar anerkennen, wie viel an einzelnen Orten geleistet worden ist durch Fürsten, die sich ihrer Pflicht bewusst waren, Kunst und Wissenschaft zu fördern, und die es verstanden haben, ihrem Sitze dadurch einen Glanz zu verleihen, wie ihn Orte ähnlicher Größe in den anderen Staaten nicht entfalten konnten, die zu öden Landstädten geworden sind.
Rosenthal über den Auftrag die Landesverfassung zu erarbeiten Als Text lesen
Rosenthal über den Auftrag die Landesverfassung zu erarbeiten
Ich erhielt von dem Staatsrat den Auftrag, den Entwurf einer Verfassung für das neue Land Thüringen auszuarbeiten. Diesem Auftrag erteilte der Volksrat am 23.1.1920 einmütig seine Zustimmung. Nachdem die Regierungen der thüringischen Freistaaten zu dem von mir fertiggestellten Entwurfe Stellung genommen hatten, wurde dieser im März und April unter meiner Teilnahme beraten. […] Die Beratungen waren anstrengend, aber hochinteressant. Es war eine Freude zu sehen, wie die Bureaukraten des alten Staates mit den sozialdemokratischen und unabhängigen Mitgliedern des Staatsrats harmonisch zusammen arbeiteten, alle von dem Gedanken beseelt, das große Werk der Begründung eines thüringischen Staates zu fördern. Trotz scharfer Gegensätze war auf allen Seiten so viel guter Wille und so viel gesunder, praktischer Blick vorhanden, daß es in kurzer Zeit gelang, eine Verständigung über den dem Volksrat zu unterbreitenden Verfassungsentwurf, dem ich eine Begründung beigab, herbeizuführen. Auch im Volksrat, in dem ich den Verfassungsentwurf in einem Einführungsvortrag begründete, verliefen die Verhandlungen rasch. Nur ein einziger wesentlicher Punkt rief schärfere Auseinandersetzungen hervor. Ich hatte vorgeschlagen, der Landesregierung das Recht zur Auflösung des Landtags einzuräumen, drang aber mit diesem Vorschlag nicht durch. Die vorläufige Verfassung wurde am 12.5. 1920 verkündet. […]
Nachruf auf Eduard Rosenthal von Otto Koellreutter Als Text lesen
Nachruf auf Eduard Rosenthal von Otto Koellreutter
Es ist ein Verdienst Rosenthals, daß im Herzen Deutschlands die Beseitigung der bisherigen Kleinstaaterei durch die Schaffung eines Mittelstaates gelang, dessen Grundgesetz er in klarer Form formuliert hat. In seiner politischen Arbeit als Abgeordneter und Führer der demokratischen Landtagsfraktion hat er den Ausbau des jungen Staatswesens weiterhin gefördert. Freilich blieb auch ihm die Tragik so manches Politikers, der sein Lebenswerk im Ausgleiche politischer Gegensätze sieht, nicht erspart. Auch seine von allen Parteien geachtete und verehrte Persönlichkeit vermochte die in Thüringen besonders scharfen politischen Gegensätze nicht zu überbrücken. Und der Ekel über die überhandnehmende Entartung des parlamentarischen Lebens veranlasste ihn in den letzten Jahren zur Niederlegung seines Mandats. Aber sein Sinnen und Sorgen, dem er in manchen Gesprächen Ausdruck verlieh, galt bis zuletzt der politischen Stabilisierung des jungen thüringischen Staatswesens. Denn er erkannte klar, daß wie überhaupt jeder Staat, so auch seine Schöpfung des thüringischen Staates ohne eine solche Stabilisierung nicht auf Dauer lebensfähig bleiben konnte. Tiefgehenden Ausdruck verlieh er diesen Problemen auf den Staatsrechtlertagungen in Jena und Leipzig. Seine dortigen, von sprühendem Temperament und tiefem juristischen Ethos getragenen Ausführungen werden allen Teilnehmern unvergesslich bleiben.
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