Liebe Leser:innen,
in diesem Beitrag soll es um Bodenschätze gehen – Schätze, die Geschichten erzählen. Archäologie gewährt uns Einblicke in die Vergangenheit und das alltägliche Leben der Menschen, die bewusst und unbewusst ihre Spuren hinterlassen haben. Damit gräbt sie Wissen aus, welches sonst für immer verloren gegangen wäre. In der aktuellen Sonderausstellung „Geschichte aus Gruben und Scherben – Grabungen im Gebiet der Altstadt von Jena“ im Stadtmuseum Jena werden Fundstücke von vier ausgewählten Grabungsorten (eichplatz, Jenergasse, Marktwestseite und Nonnenplan) präsentiert und in den Kontext der städtischen Geschichte gestellt.
Dr. Matthias Rupp, studierter Archäologe, ist Mitarbeiter der Unteren Denkmalschutzbehörde Jena seit 2002 und war maßgeblich bei der Entstehung und Vorbereitung der Ausstellung involviert. In diesem Interview spricht er über die Ausstellung, seinen Beruf und seine Motivation, die ihn für seine Arbeit antreibt.
Dr. Matthias Rupp, Sie sind Teil des Teams Denkmalschutz. Würden Sie uns die Aufgabe der Unteren Denkmalschutzbehörde umreißen?
Die Untere Denkmalschutzbehörde ist gemäß des Thüringer Denkmalschutzgesetzes eine hoheitliche Behörde, deren Aufgabe die Erfüllung und Durchsetzung eben dieses Gesetzes ist. Daraus ergibt sich eine Anzahl an Pflichtaufgaben. Allen voran steht die Prüfung und Bearbeitung von Genehmigungsverfahren an Kulturdenkmalen im gesamten Stadtgebiet. Außerdem müssen Stellungnahmen zu Bauplanungsverfahren, Bauleitplanungen, städteplanerischen Satzungen und Entwicklungsplänen abgegeben werden. In vielen Fällen schließt sich daran noch eine begleitende Funktion bei den jeweiligen Projekten an.
Neben diesen gesetzlichen Auflagen sind wir im Bereich der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit aktiv, wie zum Beispiel auch bei der aktuellen Sonderausstellung. Denn letztendlich ist die Effektivität von Denkmalschutz und Denkmalpflege langfristig an die Akzeptanz in der Bevölkerung geknüpft.
Wie haben Sie zu Ihrem Beruf gefunden und was fasziniert Sie an Ihrem Tätigkeitsfeld?
Ich hatte schon seit meiner Kindheit die Vorstellung, später im Bereich der Archäologie zu arbeiten. Und diesen Wunsch habe ich dann versucht, relativ stringent zu verfolgen, auch wenn es zu DDR-Zeiten nicht immer alles genauso geklappt hat, wie man wollte.
Meine Faszination ähnelte am Anfang wahrscheinlich der vieler anderer Menschen in diesem Berufsfeld – sprich das Entdeckerfieber und die Suche nach Dingen, die noch nicht bekannt sind oder waren.
Heute ist der einzelne Fund in der Regel für mich nicht mehr das Entscheidende, auch wenn natürlich immer wieder sehr interessante Gegenstände geborgen werden. Umso spannender wurden mit der Zeit die übergreifenden Zusammenhänge, die sich bei der Auseinandersetzung und dem Vergleichen der Funde ergeben und noch viel mehr über das Leben der Menschen damals verraten, als es ein einzelner Gegenstand vermag. Das Einordnen und Auswerten der Funde sind dann letztendlich wie ein Puzzle. Wenn diese Arbeit zu neuen Erkenntnissen führt, das ist wirklich ein sehr schönes Gefühl.
Für Jena ist die Personalkontinuität in dieser Hinsicht sicher ein Glücksfall, denn die jahrzehntelange Beschäftigung mit einem Forschungsgegenstand, also jenem der Stadtentwicklung aus archäologischer Perspektive, ist heute meist nur noch selten gegeben. Damit ergeben sich übergreifende Einblicke in bestimmte Entwicklungen, die uns erlauben, Zusammenhänge der hiesigen Stadtgeschichte zu erkennen und diese auch in überregionale Entwicklungen einzuordnen.
Der Verlust von großen Teilen der historischen Altstadt durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und in den danach folgenden Abrisswellen führte nicht nur zum Verlust eines Teiles der gewachsenen Stadtstruktur. Was durch diese Ereignisse an historisch wertvoller Substanz verloren ging, kann heute kaum mehr abgeschätzt werden. Aus archäologischer Sicht boten die großen Freiflächen der Kriegsbrachen allerdings umfangreiche Möglichkeiten, innerstädtische Flächengrabungen durchzuführen. Vor allem auf dem eichplatz führte die Entscheidung, diese im Vorfeld der Baumaßnahmen als vorbereitende Untersuchungen im Zeitraum von drei Jahren durchzuführen, zu umfassenden Ergebnissen. Solch ein langer Zeitraum ist für die Archäologie ein absoluter Glücksfall.
Sie waren schon an vielen Ausgrabungen beteiligt, besonders in Jena. Gab es dabei ein besonderes Highlight, das Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
Es gibt natürlich immer wieder schöne Momente, wenn außergewöhnliche Gegenstände gefunden werden. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Fall auf der Lobdeburg, bei dem wir eine Adlerapplike gefunden haben, ein vergoldeter kleiner Adler, der auf der Kleidung aufgenäht wurde. Diese Objekte sind typisch für einen adelig-höfischen Kontext, sie jedoch wirklich zu finden, ist sicher etwas ganz Besonderes.
Zu den Stücken, die mich persönlich aber am meisten berührt haben, gehört der Fund eines kleinen, aus Knochen gefertigten Spielwürfels auf der Burg Kirchberg auf dem Hausberg. Diese Dinge treten uns in ihrer Schlichtheit entgegen und berühren uns unmittelbar, da sie den Alltag der damaligen Zeit offenbaren. Man kann sich gut vorstellen, wie die Wächter der Burg ihre Zeit mit Würfelspielen verbrachten, um die Langeweile zu vertreiben.
Welche Aufgaben haben Sie im Rahmen der Vorbereitung der Sonderausstellung übernommen?
Meine Aufgaben bei der Ausstellungsvorbereitung waren vielfältig und zahlreich. Von den rund 35 in den letzten Jahrzehnten in Jena stattgefundenen archäologischen Untersuchungen sollten jene vorgestellt werden, die auf Grund ihrer Großflächigkeit auch am meisten in die Öffentlichkeit gewirkt haben.
Als örtlicher Grabungsleiter habe ich diese Untersuchungen mitverantwortet. Somit hatte ich einen Überblick über die in Frage kommenden Fundstücke und ihre Ausstellungsfähigkeit.
Was können die Besucher:innen aus der Ausstellung mitnehmen? Was können sie dort über die Stadtgeschichte Jenas erfahren?
Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt vor allem auf der Fundpräsentation, um dem Publikum zu verdeutlichen, was auf einer Grabung überhaupt gefunden wird. Natürlich muss man dazu ergänzend sagen, dass in der Regel 95% aller Objekte, die geborgen werden, aus Fragmenten und Bruchstücken bestehen, die nicht wieder rekonstruiert oder zusammengesetzt werden können. In der Ausstellung sehen Sie dagegen fast ausschließlich Objekte, die durch glückliche Umstände sehr gut erhalten geblieben sind. Zudem wollten wir die ganze Bandbreite der Objekte und Materialgruppen zeigen und auch andeutungsweise vermitteln, welch restauratorischer und konservatorischer Aufwand dahintersteckt. Für die Besucher:innen wird das besonders gut sichtbar in dem für die Ausstellung produzierten Film.
Jena ist hier in gewisser Weise wieder ein Sonderfall. Bis zu den Grabungen in den 90ern war nämlich nicht bekannt, in welchem Umfang sich im Jenaer Untergrund auch organisches Fundmaterial erhalten hat, da die Bedingungen hierfür in unserer Region eigentlich kaum gegeben sind. Tatsächlich aber konnten sich durch den lange vorhandenen hohen Grundwasserstand Materialien aus Holz und Leder erhalten. Insbesondere in tiefreichenden Gruben, Brunnen oder Latrinen waren die Bedingungen hierfür gegeben.
Haben Sie ein Lieblingsobjekt in der Ausstellung?
Eigentlich habe ich kein Lieblingsstück, denn wie bereits eingangs erwähnt, steht für den Archäologen nicht das einzelne Objekt im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Aussage hinter dem Objekt, die es für die gesamte Entwicklung der Stadt hat. Ich finde es sehr viel spannender, zu erfahren, was den Besucher:innen in der Ausstellung am meisten gefällt. Oftmals werden hier sehr unterschiedliche Dinge genannt: Die einen erstaunt der Aufbau eines frühneuzeitlichen Schuhs, dessen Absatz aus vielen Lagen Leder besteht, und die anderen, dass der Quirl über die Jahrhunderte seine äußere Form erhalten hat.
Der Goldring, den die Besucher:innen in der Ausstellung bestaunen können, ist natürlich ein Fund, wie man ihn als Archäologe wahrscheinlich nur einmal erleben wird. Das war eine tolle Sache, bei der wir uns bis heute fragen, wie jener überhaupt verloren gehen konnte. Wir gehen davon aus, dass dieser sozusagen unabsichtlich in die Grube gewandert ist.
Ich persönlich finde die Daubenkanne ein sehr spannendes Stück. Solche Gefäße waren früher recht weit verbreitet und wurden von Kleinböttchern aus einzelnen Holzplättchen, den sog. Dauben, zusammengesetzt. Auch Teller, Schalen und Becher wurden so hergestellt, wie die Ausstellung zeigt. Diese Art der Herstellung ist sicher schon sehr lange bekannt. In Jena ist jedoch von besonderem Interesse, dass diese Formen im 19. und frühen 20. Jahrhundert in den sog. Bierdörfern als Ziegenhainer und Lichtenhainer Kännchen eine Renaissance erlebten und teilweise bis heute in Benutzung sind. Unser komplett erhaltenes Stück hier ist aus der Zeit um 1700 und zeigt dieselben Struktur- und Konstruktionsmerkmale wie jene Ziegenhainer und Lichtenhainer Kännchen. An der Kanne offenbart sich also ein sehr schöner Bezug zur örtlichen Tradition.
Vielen Dank für das Interview, Herr Dr. Rupp!
Liebe Leser:innen, wir hoffen, das Interview konnte ihre Neugier für die Sonderausstellung wecken, und möchten Sie herzlich einladen, selbst einen Blick auf die interessanten und außergewöhnlichen Exponate zu werfen.
Wer darüber hinaus noch mehr über die Jenaer Stadtarchäologie und die in der Ausstellung vorgestellten Fundorte erfahren möchte, dem sei die Begleitpublikation „Archäologie in der Altstadt von Jena“ (ISBN: 978-3-949860-05-8; 15,90 €) empfohlen.
Genauso lesenswert ist das erste Heft aus der Reihe Jenaer Beiträge zur Denkmalpflege, Baugeschichte und Archäologie mit dem Titel „Die Anfänge der Stadt Jena bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts“ (ISBN: 978-3-942176-69-9; 8,00€). Darin beschreibt Dr. Matthias Rupp – anschaulich untermauert mit Erkenntnissen aus archäologischen Funden – die frühe Jenaer Geschichte und die damit einhergehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände.
Beide Büchlein können über das Museum bestellt oder an der Kasse erworben werden.