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Prof. Gerhard G. Paulus | Stadt der Freigeister | Jena

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Stadt der Freigeister - Prof. Gerhard G. Paulus

Zivilgesellschaftliches Engagement – das macht Jena so lebenswert

Prof. Dr. Gerhard G. Paulus, Professor an der FSU Jena

Ein Mann, eine Posaune und eine klare Botschaft: Gerhard Paulus ist Professor für nichtlineare Optik an der Universität Jena. Bekannt ist er in der Stadt aber nicht nur als Mann der Wissenschaft, sondern auch als engagierter Kämpfer gegen Rechts. Im Interview spricht er über couragierte Freigeister, seine Überzeugungen und erklärt, was Jena so besonders macht.

Herr Paulus, Sie sind sehr oft auf Demonstrationen anzutreffen. Woher kommt ihr zivilgesellschaftliches Engagement?

Aus tiefer Überzeugung. Wir wissen alle um unsere Geschichte und keiner will, dass sich das wiederholt. Nach der Wende hatte sich in Jena eine Nazi-Szene etabliert, mit dem NSU als schlimmstem Auswuchs. Diese Szene wurde dank dem bewundernswerten Engagement der Zivilgesellschaft wieder aus der Stadt hinausgedrängt – lange bevor ich nach Jena kam. Seit circa zwei Jahren blüht der Nationalismus in Deutschland und Europa wieder auf. Infolgedessen trauen sich diese Nazi-Gruppen offenbar auch wieder nach Jena – sie haben hier mehrere Demonstrationen veranstaltet. Ich sehe mich als Repräsentant der Universität, aber natürlich auch als Privatmann, in der Pflicht, mich zu engagieren. Das tun auch viele meiner Kollegen an der Universität, an der Spitze der Präsident.

Sie waren 2017 am 9. November, dem Tag des Pogroms von 1938, beim „Klang der Stolpersteine“ involviert. Worum ging es bei der Veranstaltung?

Ich bin irgendwann auf die Idee gekommen, bei den Demonstrationen meine Posaune mitzunehmen. Schnell trifft man natürlich Gleichgesinnte, die auch Musik machen. Letztes Jahr fand am 9. November zur Empörung der Jenaer eine Nazi-Demo statt, die nicht verboten werden konnte. Andererseits gab es aber auch eine großartige Gegendemonstration. Wir haben in diesem Rahmen zum ersten Mal ein Konzert an einem Stolperstein-Standort aufgeführt. Danach entstand die Idee, solche Konzerte an allen Stolpersteinen aufzuführen – auch mit dem Hintergedanken: Wenn man 25 Demonstrationen in der Stadt anmeldet, ist kein Platz mehr für eine Nazi-Demonstration. Das hat sehr gut geklappt, wir waren ganz begeistert von der Resonanz der Leute. Es wurde ein berührendes Erlebnis: Ein würdiges Gedenken in getragener Stimmung auf der einen Seite und dass wir nicht zugelassen haben, dass dieser Tag wieder von ein paar Handvoll Nazis besudelt wird.

In Jena gab es auch in der Vergangenheit viele engagierte Menschen, die für ihre Überzeugungen eingestanden sind. Zu DDR-Zeiten galt Jena beispielsweise als Dissidenten-Hochburg.

Warum war oder ist die Stadt so ein Pflaster für diese Freidenker?

Das ist schwer zu sagen, fällt mir aber auch auf. Wenn wir zum Beispiel Ernst Abbe, den berühmtesten Physiker aus der Stadt, anschauen: Er war ein großer Wissenschaftler, ein großer Industrieller, aber vor allem ein liberaler Sozialreformer – ein Vorbild durch und durch. Oder in der DDR: Studenten haben unglaublichen Mut bewiesen und sind für ihre Überzeugungen ins Gefängnis gegangen. Es wurden immer wieder Studenten exmatrikuliert, weil sie sich kritisch äußerten. Heute beteiligen sich bemerkenswert viele Studenten aus meiner Fakultät an den Demonstrationen gegen die Nazis. Jena ist wunderschön. Aber wahre Schönheit kommt von innen: Es ist das zivilgesellschaftliche Engagement – nicht nur gegen Rechtsextremismus – das Jena so lebenswert macht.

Wenn man sich heute in Jena auf die Spuren dieser Freigeister von früher machen möchte – wo muss man hin?

Im Optischen Museum begegnet man den Biografien bedeutender Leute wie Abbe, Zeiss und Schott. Man sieht in Jena auf Schritt und Tritt die Spuren von Goethe, natürlich auch von Schiller. Wenn man den Landgrafen hochgeht, sieht man die Schauplätze der Kämpfe gegen Napoleon, der in Jena einen großen Sieg errungen hat. Überhaupt: Wenn man durch diesen Landstrich fährt und einem bewusst wird, dass dies die Gegend ist, wo Bach und Schütz herkamen, wo die ganzen großen Philosophen lehrten oder Goethe und Schiller – merkt man, dass es hier einen Nukleus deutscher Kultur gibt. Man kann das Erbe der Vergangenheit in der ganzen Region spüren.

Martin Luther haben wir bisher noch ganz außen vor gelassen…

Luther ist zwar nicht in Jena beerdigt, trotzdem gibt es zu seinem Gedenken eine Grabplatte in der Stadtkirche. Dieses Kuriosum illustriert bereits seine Bedeutung für Jena. Für die Gründung der Jenaer Universität war die Reformation sogar entscheidend. Tatsächlich ist sie als Folge verlorener Kriege nach der Reformation entstanden. Johann Friedrich der Großmütige hatte die Schlacht bei Mühlberg gegen den Kaiser verloren und saß zum Tode verurteilt in Gefangenschaft. Als Gefangener hat er die spätere Universität in Jena gegründet, weil er seine eigentliche Universität in Wittenberg verloren hatte, gemeinsam mit einem großen Teil seines Territoriums und seiner Kurfürstenwürde.

Spannen wir den Bogen zur Gegenwart. Gäbe es Jena in dieser Form ohne diese Freigeister von früher?

Nein, das ist völlig klar. Ohne Goethe, der hier übrigens auch die Sternwarte gegründet hat, gäbe es die Universität wahrscheinlich gar nicht mehr. Ohne Abbe, Zeiss und Schott wäre die Universität und die ganze Stadt in ihrer heutigen Form nicht denkbar. Jena wäre wahrscheinlich eine unbedeutende Kleinstadt.

Neben ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement liegt Ihnen die Nachwuchs-Gewinnung für die Naturwissenschaften sehr am Herzen. Wie kann man junge Menschen heutzutage für Wissenschaft begeistern?

Dass wir nicht genügend Nachwuchs in naturwissenschaftlich-technischen Fächern haben, ist sicher in ganz Deutschland der Fall, aber besonders hart trifft es einen Hochtechnologie- und Universitätsstandort wie Jena. Das Jahr des Lichtes 2015 war ein schöner Anlass, um mit einer Großveranstaltung an dieser Problematik zu arbeiten. Die positive Erfahrung, die wir dort gewonnen haben, hat uns animiert, ab 2018 alle zwei Jahre ein MINT-Festival zu organisieren. Wir wollen Schülerinnen und Schüler, insbesondere auch solche von außerhalb, nach Jena bringen, um sie hier mit spannender Wissenschaft, aber auch mit dieser lebenswerten Stadt bekannt zu machen.

Stehen das Planetarium und die Imaginata auch auf dem Programm?

Natürlich. Das Planetarium ist ein Juwel, das wir hier in Jena haben. Das Optische Museum soll zukünftig stark aufgewertet werden, da versprechen wir uns viel davon – auch für die Nachwuchs-Gewinnung. Die Imaginata ist ebenfalls eine großartige Attraktion.

Jena trägt den Beinamen „Lichtstadt“. Welche Assoziationen verbinden Sie damit?

Als Physiker denkt man da natürlich zuerst an Optik, Laser und Photonik. Aber es ist klar, dass Lichtstadt mehr umfasst. Das Motto der Universität lautet „Light, Life, Liberty“ – auf Englisch bedeutet Aufklärung, die in Jena ja maßgeblich betrieben worden ist, „Enlightenment“. Diese transzendente Bedeutung von Licht schwingt immer mit.