1970 – 2020
Es sollte eine große Feier werden und dann kam corona. So, wie private Geburtstage im Moment eher kleine und stille Events sind, bekommen auch große und wichtige Ereignisse ihren ganz eigenen Charakter. Der Philharmonische Chor wird 50 Jahre alt. Ein Chor, der all die großen chorsinfonischen Werke der Musikgeschichte vom Messias über das Paulus-Oratorium bis zum Verdi-Requiem in Jena auf die Bühne bringt, stets unter großem Publikumsandrang.
Am kommenden Sonntag (17.05.) sollte das große Jubiläumskonzert stattfinden. Das geht nun natürlich leider nicht, aber trotzdem oder gerade deshalb sollten wir einen kurzen Blick zurückwerfen in die Geschichte des Chores.
Am 24.02.1970 erscheint in der Thüringer Landeszeitung der Aufruf zur Gründung eines neuen Chores. Die Initiative dazu geht aus vom Chefdirigenten Günter Blumhagen, der das Jenaer Orchester seit 1967 leitet. Blumhagen ist von einer großen Begeisterung für Chorgesang getragen. Nachdem er in Jena bereits 1968 den Madrigalkreis ins Leben gerufen hatte, zielt die Gründung des Philharmonischen Chores nun auf eine nachhaltige Stärkung der musikalischen Kultur der Stadt. Die Jenaer Philharmonie soll in ihren Konzerten aus eigener Kraft die großen Werke der Chorsinfonik zur Aufführung bringen können.
Die erste Probe im Mai 1970 – die Einladung an alle Interessenten erfolgte per Post – fand dabei im heutigen Normannenhaus statt, dem Ort, an den der Chor Anfang 2020 wieder zum Proben zurückkehrte. Das erste Werk auf dem Programm ist gleichzeitig auch eines der meistgesungenen des Chores, Carl Orffs „Carmina Burana“. Das erste Konzert im April 1971 ein riesen Erfolg. Die Rezension der Zeitung könnte auch eine aktuelle sein:
Ein Gewinn für das Jenaer Konzertleben
Das 8. Philharmonische Konzert (Reihe A) gestaltete sich zu einem Höhepunkt der Saison durch das erste Auftreten des vor einem Jahr von Musikdirektor Blumhagen gegründeten Philharmonischen Chores. Dieser gegenwärtig etwa 80 Sängerinnen und Sänger umfassende, neue Klangkörper stellt eine Bereicherung des Jenaer Konzertlebens dar, ohne dass dadurch die anderen Chöre der Stadt in irgendeiner Weise benachteiligt worden wären. (…)
Dr. H. Rothe, TLZ, April 1971
Das Wagnis Chorgründung gelang nicht nur, sondern wurde zu einem großen Erfolg. Der Chor wuchs und zählt auch heute noch weit mehr als 100 Mitglieder, die regelmäßig Dienstag zu den Chorproben kommen – einem Termin, der sich in 50 Jahren nicht geändert hat.
Als GMD Günter Blumenhagen 1982 den Chor abgeben muss, entsteht eine unsichere Zeit. Die heutige Struktur, einen Generalmusikdirektor für das Orchester und eine Chordirektorin für den Chor zu haben, gibt es nicht, der GMD übernahm die Chorproben ehrenamtlich „nebenbei“. Dieser Mangel in der Struktur wird nun offenbar, da eine Wiederbesetzung schwierig ist. Nach Jahren des mehrmaligen Chorleiterwechsels wird die Stelle als Chordirektor 1986 ausgeschrieben und an Jürgen Puschbeck vergeben (heute Professor für Chorleitung an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar).
Unter ihm erlebte der Chor einen neuen Aufschwung, übersteht auch die Wendezeit. Eine schwierige Zeit, da der Chor vom Orchester losgelöst und sich an „westdeutschen“ Modellen orientieren sollte, also Gründung als gemeinnütziger Verein und bei Bedarf Einkauf des Orchesters. Natürlich eine völlige Unmöglichkeit und so kämpfte man erfolgreich für den Erhalt der Struktur als feste Eingliederung in die Jenaer Philharmonie. In den 90er Jahren werden auch die ersten großen Chorreisen möglich. Sind es zunächst München und Stuttgart, führt es den Chor anschließend nach Toulouse, Glasglow, Paris und Athen.
Ein Juwel für Jena
Im Jahr 1997 wird Jürgen Puschbeck zum Professor für Chordirigieren an die Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar berufen und muss den Chor 1998 abgeben. Nach einer erneuten schwierigen Übergangszeit übernimmt Berit Walther, die bisherige Assistentin Puschbecks, 2000 zunächst als künstlerische Leiterin und 2001 auch als Chordirektorin die Stelle.
Berit Walther leitet den Chor bis heute, feiert also gemeinsam mit dem Chor nicht nur dessen 50jähriges, sondern auch ihr 20jähriges Jubiläum als Chorleiterin. Sie leitet – wie auch ihre Vorgänger vor ihr – neben dem Philharmonischen Chor auch den Madrigalkreis und den Knabenchor, ebenfalls Bestandteile der Jenaer Philharmonie mit langer Tradition und nicht wegzudenken aus dem kulturellen Erleben der Stadt Jena. Vor zehn Jahren, anlässlich des 40jährigen Jubiläums des Philharmonischen Chores, hat der damalige GMD Nicholas Milton die Bedeutung und das Ansehen der Chorleiterin auf den Punkt gebracht. Im Zeitungsinterview auf Berit Walther und ihre Arbeit mit den Chören der Philharmonie angesprochen, antwortete er einfach: „Ein Juwel für Jena“.
Die Erwartungen an chorsinfonisches Arbeiten hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Durch moderne Medien kann jederzeit nachvollzogen werden, welche Chöre auf der Welt welches Programm bieten. Der Anspruch muss also sein, an Spanungsfeld zwischen Tradition und Innovation zu schaffen. Chorsängerinnen und Chorsänger sowie Publikum möchten bekannte große Werke der Musikgeschichte hören, aber auch Neues geboten bekommen. Sie möchten im Konzert gebildet und gleichzeitig unterhalten und in den Proben gefordert und motiviert werden. All das schafft Berit Walther mit großartiger Geduld und Professionalität. Auch der Spagat und das Teambuilding, Menschen im Alter von 21 bis 82 (zurzeit jüngstes und ältestes Mitglied des Chores) miteinander zu vereinen, gelingt. Bis heute bleibt der Chor, der sich von Anfang an als soziales Gefüge versteht, neugierig darauf, Neues zu entdecken.
Es bleibt also kein Zweifel, dass das Jubiläumskonzert – wann immer es auch stattfinden kann – ein großer Meilenstein werden wird.
Und heute wie damals gilt: Interessierte Sängerinnen und Sänger sind jederzeit herzlich willkommen, sich dem Chor anzuschließen und mitzumachen. Auch wenn zurzeit keine Proben stattfinden können, so ist die Vorfreude doch hoch, sich wieder zu sehen und gemeinsam zu singen!