I.VIII Ehemann & Familienvater
Mit seiner Frau Clara und dem Sohn Curt lebt Eduard Rosenthal ab 1892 in der Villa mit Blick auf die Jenaer Kernberge. Die Familie erlebt sowohl glückliche Momente, doch sollen die gemeinsamen Jahre auch schwere Schicksalsschläge bereithalten.
Am 9. August 1885 heiratet Eduard Rosenthal im Standesamt der Universitätsstadt Heidelberg die aus Karlsruhe stammende Clara Ellstätter. Das junge Ehepaar lebt zunächst in der Kahlaischen Straße 1 in Jena. Am 15. August 1887 wird ihr Sohn geboren und am 24. Oktober desselben Jahres auf den Namen Curt Arnold Otto getauft. Taufpaten des einzigen Kindes der Rosenthals sind Constanze Delbrück, die Frau des Sprachforschers Berthold Delbrück, Rosenthals Kollege Otto Wendt und Emilie Herz aus Dresden, eine Cousine von Clara Rosenthals Mutter. In den Jahren 1890 und 1891 lässt das Ehepaar vom Berliner Architekturbüro Kayser und von Großheim das Haus in der Kahlaischen Straße 6 erbauen, dass die junge Familie 1892 beziehen kann.
Die Frau an seiner Seite: Clara Rosenthal
Mit seiner zehn Jahre jüngeren Ehefrau verbindet Eduard Rosenthal eine starke Neigung zur schönen Literatur, zur Bildenden Kunst und zur Musik. Clara Rosenthal gilt als sehr belesen, weit gereist und umfassend gebildet. An der Seite ihres Ehemanns führte sie ein gastfreundliches, offenes Haus, dass mit Kunstwerken von Ludwig von Hofmann, Christian Rohlfs, Hans Thoma, Hans Olde, Raffael Schuster-Woldan und Georg Minne geschmückt ist. Die repräsentative Villa der Familie Rosenthal steht gewissermaßen symbolhaft für die Geselligkeit der Rosenthals, für ihre starke soziale Einbindung in das städtische Leben sowie die hohe Anerkennung, die die Familie zeitlebens besitzt. Das Ehepaar empfängt regelmäßig gemeinsam Freunde, gibt größere Gesellschaften und lädt im Jahr 1913 zum großen Prorektorenball ins Volkshaus ein.
Doch auch Schattenseiten prägen das Zusammenleben der beiden Eheleute. Clara Rosenthal leidet seit frühester Jugend an einer schmerzhaften Gesichtsneuralgie und später an starker Schlaflosigkeit. Wenn Clara Schübe ihrer Gesichtsneuralgie überfallen, muss sie sich zurückziehen und kann ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht nachkommen. Eduard Rosenthal nimmt zeitlebens große Rücksicht auf die Gesundheit seiner Frau und umsorgt sie fürsorglich. An Tagen, an denen Clara Rosenthal ohne Beschwerden leben kann, wirkt sie anziehend und gewinnend auf andere Menschen. Sie versteht es, ihr Heim für Gäste so wohnlich und angenehm zu gestalten, dass sie sich wie zu Hause fühlten. Davon berichtet Rosenthals Kollege Heinrich Gerland. »Sie ist hoch gebildet und sehr belesen«, wie ihr Alexander Cartellieri attestiert. »Vor allem Gedichte vermögen sie stark zu berühren«, schreibt Berthold Litzmann in seinen Lebenserinnerungen. Als Ehemann räumt ihr Eduard Rosenthal vielfältige Freiheiten ein, sodass sie ihren Interessen und Freizeitbeschäftigungen ungehindert nachgehen kann. Während er den Vorsitz des Jenaer Kunstvereins inne hat, ist Clara im Vorstand der Gesellschaft der Kunstfreunde von Jena und Weimar aktiv (1904-1908).
Im Jahr 1924 vermachen Clara und Eduard Rosenthal ihr Haus der Stadt Jena und halten im Testament fest, dass es für »ideele Zwecke« genutzt werden solle. Bereits 1928 übergibt Clara Rosenthal das Haus der Stadt vorzeitig, da sie es allein nicht mehr halten kann. Das Wohnrecht behält sie sich lebenslang vor. Doch mit den anti-jüdischen Gesetzen der Nationalsozialisten wird ihre Situation immer bedrückender: Die einst hoch angesehene Frau wird im eigenen Haus bedrängt und findet am 11. November 1941 keinen anderen Ausweg als den Freitod.
E. Rosenthal an Otto Binswanger, 02.08.1895
Jena, den 2.8.95
Lieber Binswanger,
Meine Frau war in den letzten Tagen wieder so furchtbar von ihren Schmerzen gequält, daß sie sich entschloß, sich der ihr schon lange drohenden Kur zu unterziehen. Heute war ich nun bei Ihrer Frau Gemahlin, um zu sehen, ob Sie sie vielleicht noch mit zu Ihrem Herrn Bruder nehmen würden. Leider kam ich zu spät. So möchte ich Sie nun bitten, meiner Frau, die sich herzlich freut, Sie dort und Ihr Fräulein Schwester als alte Bekannte vorzufinden, eine freundliche Aufnahme in Ihrer alten Heimat zu bereiten und Sie Ihrem Herrn Bruder und dessen Kollegen warm zu empfehlen. Das Eingewöhnen wird ihr in den ersten Tagen nach der Trennung von Haus und Kind schwer werden, dann aber wird sie nach Allem, was ich über die Anstalt hörte, sich bald einleben und hoffentlich keine Grillen fangen.
Herzliche Grüße Ihrem Fräulein Schwester und Ihrem Herrn Bruder und im Voraus besten Dank von
Ihrem Eduard Rosenthal
Rosenthals Sohn Curt Arnold
Curt Rosenthal erhält in seinen ersten Schuljahren Privatunterricht. Erst 1896 tritt er ins Jenaer Gymnasium Carolo Alexandrinum ein, wo er 1905 schließlich sein Reifezeugnis erlangt. Auf die wahl seines Studienfachs, der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft, hat das Vorbild des Vaters wohl nachhaltigen Einfluss. Sicher empfiehlt Rosenthal seinem Sohn das Studium in Cambridge und an der Sorbonne. Curt Rosenthal hört während seines Studiums Vorlesungen bei den besten Rechtsgelehrten, Wirtschaftswissenschaftlern und Soziologen in München, Berlin, Leipzig, Freiburg und Jena. Seine Dissertation über die »Gütertarifpolitik der Eisenbahnen im Deutschen Reich und in der Schweiz« wird von dem Jenaer Nationalökonomen Julius Pierstorff betreut. Seine mündliche Prüfung zum Doktorexamen wird von ebend diesem sowie den renommierten Professoren Gerhard Kessler (Sozialpolitik) und Eduard Vongerichten (Chemie) einhellig mit sehr gut bewertet, sodass der Dekan der Philosophischen Fakultät die Promotion mit summa cum laude würdigen kann.
Obwohl Curt Rosenthal wegen eines Nervenleidens ausgemustert wird, setzt er zu Beginn des Ersten Weltkriegs durch, dass er als Kriegsfreiwilliger eingezogen wird. Clara und Eduard Rosenthal begrüßen die Entscheidung ihres Sohnes mit großer Freude. Umso härter trifft sie die Nachricht, dass Curt mit nur 27 Jahren am 30. Oktober 1914 bei seinem ersten Gefecht westlich von Lille in Frankreich gefallen ist. Insbesondere Clara Rosenthal leidet bis zu ihrem Lebensende schwer unter dem Tod ihres Sohnes; und wenn auch Eduard Rosenthal sich durch Arbeit zu betäuben sucht, ist auch für ihn der Verlust des einzigen Sohns ein schwerer Schicksalsschlag. Kurz vor seinem Tod schreib er: War der furchtbare Ausgang des Weltkriegs für jeden Deutschen ein niederschmetternder Schlag, so traf dieser meine Frau und mich mit besonderer Wucht.
Gemeinsam mit seiner Frau Clara gründet Eduard Rosenthal im Jahr 1920 die Curt-Arnold-Rosenthal-Stiftung. Sie sollte Kriegsteilnehmern und deren Hinterbliebenen finanzielle Unterstützung zur Wiedereingliederung bieten und gleichzeitig dem gefallenen Sohn Ehre erweisen. Auch ein Gedenkpavillon in dem von Clara Rosenthal so geliebten Garten der Villa wird dem verstorbenen Sohn zu Ehren im Jahr 1916 errichtet. Darin sind heute auch Medaillons mit den Porträts von Eduard und Clara Rosenthal angebracht.
E. Rosenthal an Elisabeth Förster-Nietzsche, 29.09.1914
Jena, 29.9. 1914
Sehr verehrte gnädige Frau,
Vorwurfsvoll blickt mich Ihre liebe Sendung an. So will ich denn endlich Ihnen herzlich danken für Ihren schönen Aufsatz „Nietzsche und der Krieg“, der uns wieder das entsprechende Bild des gemütstiefen Philosophen vor die Seele zaubert. Jetzt, wo alle unsere Gedanken um den Einen Punkt kreisen, sind wir für jede innere Anregung doppelt empfänglich. Wir waren in den letzten Wochen regelmäßig in Weimar, konnten aber leider nicht zu Ihnen, da wir bei den Militärbewerbern am Schießhaus und Tiefurt uns herumtrieben. Unser Sohn, der im vorigen Jahr wegen seines Leidens für dienstuntauglich erklärt wurde, hat es doch zu unserer Freude durchgesetzt, daß er als Kriegsfreiwilliger in Weimar eintreten konnte. Vor 8 Tagen fuhr sein Bataillon nach dem Truppenübungsplatz Darmstadt und bald wird es weiter nach Belgien gehen. Der Junge ist glücklich, daß er mit hinaus kommt, und es war eine Freude, die prächtige, siegessichere Stimmung der ausmarschierenden Mannschaft zu sehen. Es ist immer Sorge – aber in dieser großen Zeit darf man nicht an sich denken. Meine Frau, die sich auch nützlich zu machen sucht, ist nicht auf der Höhe. Sie sollte nach Wildungen,- aber der Krieg hat auch das vereitelt.
Sie sendet Ihnen herzliche Grüße.
Ihr aufrichtig ergebener Eduard Rosenthal
E. Rosenthal über den Verlust seines Sohnes
War der furchtbare Ausgang des Weltkriegs für jeden Deutschen ein niederschmetternder Schlag, so traf dieser meine Frau und mich mit besonderer Wucht. Hat er uns doch den einzigen Sohn geraubt, der schon am 30. Oktober 1914 westlich von Lille als Kriegsfreiwilliger gefallen war. So war auch dieses schwere Opfer umsonst gebracht. Unser Sohn hatte noch vor seinem Eintritt ins Heer sein Erstlingswerk beendigt, das er nie in vollendetem Zustande gesehen hat. Das Buch hat von fachkundiger Seite warme Anerkennung gefunden.
Ludwig von Hofmann (1861-1945)
Maler, Grafiker, Gestalter, Vorreiter der Bewegung »Neues Weimar«
Raffael Schuster-Woldan (1879-1951)
Raffael Schuster Woldan war Professor an der Preußischen Akademie der Künste und Porträtist einiger Professoren der Universität Leipzig. Er schuf auch das 2014 wiederentdeckte Gemälde »Clärchen R.«, das Clara Rosenthal zeigt. Später erfreute er sich großer Beliebtheit bei den Nationalsozialisten. So gestand man ihm bei der Großen Deutschen Kunstausstellung 1941 in München eine eigene Sonderausstellung zu, bei der auch Adolf Hitler ein Gemälde erworben haben soll.