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Auf ein Wort, Alexej Gerassimez! - Jenaer Philharmonie
Foto: Christoph Staemmler

Lieber Alexej, Du hast 2019 schon ein­mal ein Kon­zert für Schlag­werk in Jena gespielt. Nun bist Du ARTIST IN RESI­DENCE bei der Jenaer Phil­har­mo­nie. Was bedeu­tet das für Dich und welche Erwar­tun­gen hast Du an diese Zeit?

Ich fühle mich geehrt, dass das Or­ches­ter sich ent­schie­den hat, einen Schlag­zeu­ger als ARTIST IN RESI­DENCE zu be­nen­nen. Dazu ge­hört viel Mut, und es müs­sen Vorur­teile in der klas­si­schen Kon­zert­land­schaft über­wun­den wer­den. Ich freue mich, dass das Or­ches­ter diesen Schritt ge­gan­gen ist. Und für die­sen Mut bin ich sehr dank­bar. Außer­dem freue ich mich da­rauf, auch die Stadt ein biss­chen mehr ken­nen­zu­ler­nen. Erste Ge­le­gen­heit dazu hatte ich bei­spiels­wei­se heu­te mor­gen als ich lau­fen war. Jena ist eine wirk­lich schöne Stadt, finde ich. Des­halb freue ich mich, dass ich jetzt öfter hier­her kommen kann.

Du stammst aus einer mu­sika­li­schen Fami­lie und hast Dich dann rela­tiv früh­zei­tig für das Schlag­zeug ent­schie­den. Wie war das so bei Euch zu Hause?

Bei uns ging es zu wie in einer Mu­sik­schu­le. Ich hatte drei Ge­schwis­ter, und alle machen Musik. Mein Vater ist Trom­pe­ter, meine Mut­ter spielt Brat­sche, meine drei Ge­schwis­ter spielen Cello, Kla­vier, Gei­ge, und da wir viel Mu­sik ge­spielt ha­ben, war wirk­lich das gan­ze Haus vol­ler Musik. Wir hat­ten eine Haus­hälfte, und an­schei­nend war die Wand zu den Nach­barn sehr dick, anders konn­ten wir uns nicht er­klä­ren, dass es keine Be­schwer­den gab. Es war viel los, und es gab na­tür­lich auch viel Haus­musik, und ich habe viel mit mei­nen Brü­dern zusam­men ge­spielt. Ich spiele ja heu­te noch in Pro­jek­ten mit ihnen zu­sam­men. Min­des­tens ein­mal im Jahr ge­hen wir auf eine kleine Tour­nee. Das ist dann ein Stück Hei­mat, wie frü­her im Wohn­zim­mer. Und na­tür­lich wur­de bei Feiern im­mer Mu­sik ge­macht, ob das bei Omas Ge­burts­tag war oder zu einem ande­ren An­lass, es wurde immer Musik ge­macht.

Waren Deine Eltern be­geis­tert von der Idee, dass Du Schlag­zeug ler­nen woll­test?

Mein Vater kannte das Schlag­zeug ja nur aus dem Or­ches­ter und dach­te, das muss ich nun nicht auch noch zu Hause haben. Und so konnte er mich über­re­den, dass ich erst ein­mal Kla­vier zu ler­nen be­gann. Das war auch gut. Ich spiele bis heute Kla­vier. Kla­vier ist na­tür­lich eine sehr wich­ti­ge Grund­lage fürs Musi­zie­ren, weil man har­mo­ni­sche Zu­sam­men­hänge sehr gut ver­ste­hen und er­ler­nen kann. Nach zwei Jah­ren, als ich sechs oder sie­ben war, habe ich end­lich Schlag­zeug­unter­richt be­kom­men, und da bin ich auch sehr schnell im Keller ge­lan­det, wo mir mein Vater eine kleine Übe-Kabine gebaut hat, und dort habe ich dann Schlag­werk geübt.

Foto: Nikolaj Lund

Du warst auf der Mu­sik­schu­le meist der Jüngste und hast mit Grö­ße­ren gespielt, und heute bist du ein sehr junger Pro­fes­sor. Wie ist das, wenn man im­mer der Jüng­ste ist, ist das ein Vor­teil, kann das auch ein Nach­teil sein oder auch eine Be­las­tung?

Das hat sowohl Vor-, als auch Nach­teile. Der Vor­teil ist, dass ich wahn­sin­nig viel ler­nen konnte. Da­durch, dass ich meis­tens mit Leu­ten ge­spielt habe, die schon sehr gut und sehr weit waren, war ich enorm gefor­dert, um mit ihnen mit­hal­ten zu kön­nen. Das ist et­was, was in der musi­ka­li­schen Ent­wick­lung sehr wich­tig ist. Man muss schau­en, dass man im­mer wie­der Ge­le­gen­heit hat, mit Leu­ten zu spie­len, die auf ihrem Gebiet besser sind als man selbst, die wei­ter sind, denn so lernt man schnell und gut. Der Nach­teil kann sein, – das pas­siert zwar nicht oft, aber es kann sein – dass du be­nei­det wirst. Du bist noch sehr jung und doch schon sehr gut, und es gibt im­mer wie­der Leu­te, die das ver­un­si­chert, und da habe ich ge­lernt, dass viel Ta­lent und frü­hes Kön­nen auch viel Ver­ant­wor­tung er­for­dern, wie ich damit um­gehe und wie ich das nach au­ßen kom­mu­ni­zie­re. Das heißt, es wurde genau darauf geach­tet, ob mir das zu Kopf steigt oder ob ich ar­ro­gant werde oder he­rab­las­send. Und wenn ich nur einen Schritt in diese Rich­tung ge­gan­gen bin oder eine Be­mer­kung fal­len ge­las­sen habe, die man dem­ent­spre­chend hätte inter­pre­tie­ren kön­nen, dann wur­de das so­fort re­gis­triert, und so habe ich be­merkt, dass das mit gro­ßer Ver­ant­wor­tung ver­bun­den ist und dass ich auf­pas­sen muss, wie ich mich nach außen prä­sen­tiere. Das war auch eine Lehre für mich, be­schei­den zu blei­ben. Und das ist mir bis heute wich­tig. Das, was für mich als Mu­si­ker bis heu­te auf der Büh­ne zählt, das ist die Qua­li­tät, das „Wie“ und das „Was er­zäh­le ich?“ Das ist ent­schei­dend, und ich ver­su­che, die Sachen nicht zu be- oder ver­ur­tei­len im Sinne von „Oh, das war gut“, oder „Oh, das war sehr schlecht“, son­dern ich ver­su­che, die Din­ge zu se­hen, wie sie sind. Es ist gar nicht so ein­fach, das rich­ti­ge Maß zu fin­den, denn ich brau­che ja eine Art Feed­back, ich muss mich in einer be­stimm­ten Weise be­wer­ten. Das tue ich auch, aber ich ver­su­che es we­ni­ger, in schlecht oder gut ein­zu­tei­len, son­dern ich möchte wis­sen: Was pas­siert ge­ra­de und in wel­cher Rich­tung möch­te ich das haben? Zum Bei­spiel: Ich habe einen fal­schen Ton ge­spielt, das heißt weder, dass er gut, noch dass er schlecht ist. Er ist anders, als er in den Noten steht. Das ist sehr, sehr wich­tig, vor allem für jun­ge Mu­si­ker, weil wir in einer Welt leben, in der alles auf­ge­nom­men und wie­der­holt wer­den kann. Per­fek­tion und Musik, das passt eigent­lich gar nicht so rich­tig zu­sam­men, ich finde, es passt schon zu­sam­men, aber auf eine ganz pa­ra­do­xale Art und Weise.

Ich glau­be, nach allem, was du über dei­nen mu­si­ka­li­schen Wer­de­gang er­zählt hast, war für dich früh­zei­tig klar, dass das Schlag­werk Dein In­stru­ment ist. Woher weiß man, was für einen das rich­ti­ge In­stru­ment und die rich­ti­ge Rich­tung ist?

Foto: Nikolaj Lund

In­so­fern, dass ich nie eine be­wuss­te Ent­schei­dung ge­trof­fen habe. Als Kind trifft man oft keine be­wuss­ten Ent­schei­dun­gen, weil alles flie­ßend ist. Und seit ich den­ken kann, war das Schlag­zeug meine Faszi­na­tion und mein Ins­tru­ment. Spä­ter habe ich ver­sucht zu ver­ste­hen, warum das Schlag­zeug­spie­len immer ein Teil von mir war. Es war völlig klar, und es gab nie einen Zwei­fel daran, dass ich Schlag­zeu­ger werden wollte.

Du warst sehr früh­zei­tig auf das Schlag­werk fo­kus­siert, aber im Ge­gen­satz zu an­de­ren In­stru­men­ta­lis­ten, die sich auf ein In­stru­ment kon­zen­trie­ren, spielst Du eine ganze Pa­let­te von Schlag­werk­in­stru­men­ten, und der eine Leh­rer war auf Pau­ke, der an­de­re auf Becken, ein drit­ter wie­de­rum auf Ma­rim­ba- und Vi­bra­phon spe­zia­li­siert. Wie ist es dazu ge­kom­men, dass Du eine Viel­zahl von Schlag­in­stru­men­ten glei­cher­ma­ßen gut be­herrschst?

Das bringt das Schlag­zeug mit sich, aber einen ent­schei­den­den An­teil hat­ten auch meine ers­ten bei­den Lehrer. Ich bin in Essen ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen, und meine erste Leh­re­rin hieß Anke Rothe. Sie war in vie­len Gen­res zu Hause, sie konnte Drum­set spie­len, sehr, sehr gut sogar, aber sie spiel­te auch Ma­rim­ba und die Stab­spie­le, und sie hatte auch klas­si­sches Schlag­zeug stu­diert. Sie hatte mir schon die Türen in diese Welt geöff­net, und spä­tes­tens dann, als mein Jung­stu­di­um in Köln, Ab­tei­lung Wup­per­tal, bei Chris­tian Ro­der­burg be­gann, spä­tes­tens da hatte ich Zu­gang zu der gan­zen Welt des Schlag­zeugs. Wenn man in die­sem klassi­schen Schlag­zeug­be­reich unter­wegs ist, dann inte­res­siert dich die Lite­ra­tur, die ver­schie­de­nen Sti­lis­ti­ken, die Gen­res. Da be­wegst du dich in die­sem Feld, und da geht eine Tür nach der an­de­ren auf, und das ist heu­te im­mer noch so, es gibt un­end­lich viele Mög­lich­kei­ten. Man lernt zum Bei­spiel die Djem­be, und dann merkt man, es gibt eine Grup­pe, die spielt Djem­be mit in­di­schem Ein­fluss, und es gibt un­end­lich viele gute Künst­ler, die die­ses Ins­tru­ment spie­len. Vor ein paar Jah­ren musste ich ein neues Schlag­zeug­kon­zert lernen, in dem ich viel Djem­be spie­len musste, ich war gera­de Pro­fes­sor ge­wor­den, und dann bin ich zu einem Spe­zia­lis­ten in Ber­lin ge­gan­gen, der auf afri­ka­ni­sche Djem­be spe­zia­li­siert war. Ich hatte gera­de an­ge­fan­gen zu un­ter­rich­ten, und dann habe ich selbst Un­ter­richt ge­nom­men, um mich in der Trom­mel­tech­nik für die Djem­be zu qua­li­fi­zie­ren, denn jeder kann auf ir­gend­et­was ein­dre­schen, aber die Frage ist ja immer, wie ist die Qua­li­tät, also zum Bei­spiel, wie ist die Hand­hal­tung, damit ich den Klang er­zeu­gen kann, den ich brau­che, um das zu er­zäh­len, was ich er­zäh­len möchte. Und das er­for­dert viel Hin­gabe. So gibt es Djem­be-Spie­ler, die spie­len ihr Leben lang nur Djem­be, und sie spie­len auf einem un­glaub­lich ho­hen Ni­veau. Das liegt eben daran, dass sie ihr gan­zes Le­ben der Djem­be widmen.

Generalprobe DER KLANG VON JENA № 1 am 16.10.2022, Foto: Christoph Staemmler

Ich glau­be, es kommt auch beim Schlag­zeug auf die Art des Er­zäh­lens, auf den Aus­druck an, und ich glau­be, dass du den gan­zen Kör­per brauchst und be­nutzt, um mu­si­ka­lisch das aus­zu­drü­cken, was du möch­test. Wie bekommt man das hin?

Ich tue das, was jeder gute Mu­siker tut. Ich glau­be, jeder gute Mu­si­ker or­ches­triert in sei­nem Kopf. Das heißt, wenn ich eine Me­lo­die auf dem Ma­rim­ba­phon spiele, kann es sein, dass ich mir diese Me­lo­die vor­stelle, als wür­de sie eine Flö­te spie­len. Für mich ist Schlag­zeug nur das Mit­tel zum Zweck, also ich str­ebe immer eine Farbe oder eine Or­ches­tra­tion oder den Klang eines Instru­ments oder ein Ge­fühl an, das phy­sisch nichts mit mei­nem In­stru­ment zu tun hat. Und ich glau­be, so be­kom­me ich mei­nen Kör­per und mei­ne Be­we­gun­gen dazu, sich die­sem In­stru­ment, das nicht mein In­stru­ment ist, an­zu­nä­hern. Und das ist so in­te­res­sant: Wenn ich mit So­lis­ten­kol­le­gen zu­sam­men bin und wir uns un­ter­hal­ten, da mer­ke ich, wie vie­le Pa­ralel­len es gibt. Ein guter Pia­nist denkt auch nicht Kla­vier, Kla­vier, Kla­vier, son­dern er denkt: „Oh, das ist jetzt eine Linie – die könnte von einem Fa­gott sein.“ Dann ver­än­dert sich die Farbe, dein Kör­per ver­än­dert sich. Wenn du dei­nen Geist ver­än­derst, wenn du deine Wahr­neh­mung ver­än­derst, ver­än­dert sich auch dein Spiel.

Ne­ben den Klang­vor­stel­lun­gen, den Klang­vi­sio­nen ist es dir vor al­lem wich­tig, eine Ge­schich­te so zu er­zäh­len, wie du möch­test, dass sie er­zählt wird. Viel­leicht be­ginnt hier die große Kunst des musi­ka­li­schen Aus­drucks … ?

Ja, denn die Kunst be­ginnt mit dem „Wie“, nicht mit dem „Was“. Was spiele ich? Die Trom­mel. Jeder kann eine Trom­mel spie­len. Jeder kann häm­mern. Jeder kann sägen. Nur die Kunst be­ginnt dort, wo je­mand das „Wie“ ins Spiel bringt. Wie häm­mere ich oder wie spie­le ich Schlag­zeug, wie spie­le ich Kla­vier, und es wird dann be­son­ders, wenn derje­ni­ge auch noch ein „Wa­rum“ hat. Das ist ei­gen­t­lich der Kern der Sache. Also wa­rum machst du das denn? Und ich glau­be, es gibt sehr viele Grün­de, aber ein ent­schei­den­der Grund ist die ei­ge­ne Be­geis­te­rung für das, was man tut. Mein Cre­do lau­tet: Ich bin be­geis­tert von mei­nem Ins­tru­ment, und ich bin be­geis­tert von der Mu­sik, und die­se Be­geis­te­rung möch­te ich tei­len. Das ist eine sehr wich­ti­ge und ge­sun­de Sicht­wei­se, so­weit ich das sa­gen darf. Das ist schwie­rig, und nicht im­mer ein­seh­bar, vor al­lem, wenn du als Mu­si­ker unter gro­ßem Druck stehst, wenn du vor zwei­tau­send Leu­ten sitzt und ein Schlag­zeug­kon­zert spielst, in dem du alles aus­wen­dig spielst und dir keine Feh­ler er­lau­ben darfst, da stehst du unter einem enor­men Druck. Aber die Kunst ist es, sich in die­sem Mo­ment zu übe­rwinden und den Druck in Be­geis­te­rung zu ver­wan­deln. Es ist wir­klich ein ent­schei­den­der Schritt, die­ses Sich-Über­win­den-Müs­sen, die­ses Mutig-Sein, zu kul­ti­vie­ren. Um auf die Büh­ne zu ge­hen und vor zwei­tau­send Leu­ten zu spie­len, mit einem Or­ches­ter im Rücken, dazu brauchst du Mut. Und wenn das für mich einfach wäre und Rou­ti­ne, dann bräuch­te ich da­für kei­nen Mut. Na­tür­lich bin ich er­fah­ren, und ich weiß, wie ich mich ver­hal­ten muss und kann, ich ken­ne das Spiel­feld, ich ken­ne das Spiel, das hilft na­tür­lich, und die Er­fah­rung hilft enorm, aber dieses Sich-Über­win­den- und Mu­tig-Sein-Müs­sen ist schon sehr faszi­nie­rend.

Generalprobe DER KLANG VON JENA № 1 am 16.10.2022, Foto: Christoph Staemmler

Du hast ein­mal gesagt, das Austa­rie­ren und das Verbin­dung-Stiften ist eine Aufgabe des Schlag­werk­so­lis­ten. Gehört nicht gerade das auch zum musi­ka­li­schen Erzählen?

Ja, und gera­de das ist so faszi­nie­rend, weil es meine Auf­ga­be als Mu­si­ker ist, Zu­sam­men­hän­ge auf­zu­zei­gen, die ich beim Stu­di­um der Par­ti­tur oder im Selbst­stu­di­um der Mu­sik ver­stan­den habe. Es gibt klei­ne Zu­sam­men­hänge, es gibt gro­ße Zu­sam­men­hänge in einer Par­ti­tur, es gibt Mo­ti­ve, es gibt The­men, es gibt Vor­trags­be­zeich­nun­gen, es gibt Struk­tu­ren, und je mehr ich da­von ver­stan­den habe, desto eher kann ich das al­les auch zei­gen, und dann geht es in der Mu­sik da­rum, es hör­bar zu ma­chen, dass ich den Zu­hö­rer „an die Hand neh­me“ und dann in das Reich die­ses Mu­sik­stü­ckes mit hin­ein nehme, und ihm mög­lichst kon­kret alles zeige: Schau mal, das habe ich her­aus­ge­fun­den, hier ist das Zen­trum, und hier ha­ben wir eine Peri­phe­rie.

Ich denke, dass das, was du machst, auch rela­tiv viel mit Tanz zu tun hat, mit Kör­per­be­we­gung so­wie­so, aber ver­mut­lich auch mit Tanz. Lernt man auch von Tän­zern, wie man sich be­wegt auf der Bühne?

Ich habe mein Le­ben lang viel ge­tanzt, vor all­em viel Salsa ge­tanzt, ich glaube, dass jeder Mu­si­ker, vor allem, wenn der Kör­per das Werk­zeug ist, ir­gend­wie auch ein Tän­zer ist, es hilft, wenn man sich das be­wusst macht und beim Mu­si­zie­ren auch ref­lek­tiert. Beim Schlag­zeug ist das ganz be­son­ders wich­tig, weil der Klang ganz un­mit­tel­bar mit der Kör­per­spra­che, mit der gan­zen Kör­per­hal­tung zu­sam­men hängt, mehr als bei an­de­ren Ins­tru­men­ten. Bei den meis­ten Ins­tru­men­ten ist der Ein­fluss­be­reich des Kör­pers auf das Ins­tru­ment klei­ner als beim Schlag­zeug. Beim Schlag­zeug ist der Ein­fluss viel grö­ßer, des­halb ist die Kör­per­hal­tung, Kör­per­span­nung oder -ent­span­nung, sehr, sehr wich­tig für den Klang. Und des­halb hilft es ein­fach, zu tanzen oder mit Tänzern zu ar­bei­ten. Das habe ich auch viel ge­macht, um zu ver­ste­hen, wie die Zu­sam­men­hänge sind. Ein zen­tra­les Thema in der Musik ist das Wech­sel­spiel von Span­nung und Ent­span­nung, von hell und dunkel, das ist ein dua­les Sys­tem. Davon lebt gute Mu­sik. Es braut sich etwas zusam­men, und dann möch­te ich das auf­lö­sen, und da­mit spie­le ich ja auch. Als guter Mu­si­ker weiß ich das. Und mit dem Kör­per ist es ge­nau­so. Ich muss einen Weg finden, mit Span­nung und Ent­span­nung um­zu­ge­hen. Und das ist zum Bei­spiel bei der Aus­bil­dung ganz wich­tig. Da ist es wic­htig, dass man lernt, seinen Kör­per zu kennen, um zu wis­sen, wann der Kör­per durch­läs­sig und wann Span­nung vor­han­den ist.

Wenn je­mand Cello spielt und wie sie oder er das Cello hält, da spricht man schnell von einer Lie­bes­be­zie­hung. Wie sieht denn die Lie­bes­be­zie­hung vom Schlag­zeu­ger zu seinem Ins­tru­ment aus?

Foto: Christoph Staemmler

Das Schlag­zeug ist das ein­zi­ge In­stru­ment, was größ­ten­teils be­rüh­rungs­frei ge­spielt wird. Ich glaube, es gibt sonst kein Ins­tru­ment, bei dem man nicht einen di­rek­ten Kon­takt zum Ins­tru­ment hat. Das ist beim Schlag­zeug nicht so. Du hast nur die Mini­se­kunde, in der Dein Schle­gel das Ins­tru­ment be­rührt, es gibt na­tür­lich ein paar Aus­nah­men, wenn ich mit einem Bo­gen ar­bei­te oder eine Trom­mel im Arm habe, aber größ­ten­teils habe ich kei­nen di­rek­ten Kon­takt zum Ins­tru­ment. Des­we­gen liegt viel­leicht der Fo­kus auch mehr auf dem Kör­per. Und wie ge­sagt, ich habe ja nicht ein Ins­tru­ment, ich habe Tau­sen­de. Und des­halb ist das Schlag­zeug eine an­de­re Art von Mu­sik, von Kunst. Ich glau­be, mei­ne Lie­bes­be­zie­hung, wenn man es über­haupt so nen­nen kann, geht dann eher in die Rich­tung, dass ich es lie­be. Ich lie­be es, den Schlag­in­stru­men­ten und den ver­schie­de­nen Ob­jek­ten, mit de­nen ich ar­beite, ihren ganz eige­nen Klang zu ent­lo­cken, sie zu „ent­zau­bern“. Das ist das, was mir gren­zen­lose Be­geis­te­rung be­schert. Ich bin je­des Mal – und da ist es egal, ob es eine Blech­dose oder eine Pau­ke ist – be­geis­tert, wenn ich es schaf­fe, so einem In­stru­ment einen ganz be­stimm­ten Klang zu ent­lo­cken, so­dass ich sa­gen kann: „Oh, das hat Quali­tät. Das war gut. Da habe ich jetzt einen Klang ge­fun­den, ba­sie­rend auf der Tech­nik und dem Schlag­punkt und dem Schle­gel.“ Mit diesen gan­zen tau­send Pa­ra­me­tern, die ich zur Ver­fü­gung habe, um ein­en Klang zu pro­du­zie­ren, wenn die alle in Har­mo­nie sind, dann ent­steht eine Art „ma­gi­scher Klang“. Das ist das, was ich liebe.

Auch der Rhyth­mus spielt beim Schlag­zeug eine große Rolle. Das hat viel mit Le­ben­dig-Sein zu tun …

Sehr viel Dy­na­mik eben, weil der Kör­per des Schlag­zeu­gers frei und die dy­na­mi­sche Band­brei­te des Schlag­zeugs so im­mens ist. Es gibt kein In­stru­ment, was so laut spie­len kann, und es gibt auch kein In­stru­ment, was so leise spie­len kann wie das Schlag­zeug. Und ich ver­su­che, diese dy­na­mi­sche Band­brei­te immer wieder in die Länge zu ziehen, so­dass ich beide Ex­tre­me spie­le, weil ich es kann und weil für mich eine große Freude darin liegt. Ich glaube, diese Dy­na­mik, so­wohl in der Laut­stärke wie in der Be­we­gung ist das, was für ein Pu­bli­kum so fas­zi­nie­rend ist.

Vielen Dank für das Ge­spräch. Und wir freuen uns na­tür­lich auf die Kon­zer­te im Früh­jahr sowohl mit gro­ßem Or­ches­ter, als auch in der klei­nen Form. Ich danke recht herz­lich.

Das Ge­spräch mit Alexej Geras­si­mez führte Dr. Dietmar Ebert.


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