JenaKultur wird in diesem Jahr fünfzehn, und noch immer verstehen nicht alle diese besondere Konstruktion, die so viele Einrichtungen der Kultur und kulturellen Bildung, Sonderprojekte, den Tourismus und Marketing zusammenschmiedet. Um die Vielgestaltigkeit des Eigenbetriebes, seine enormen Potenzen und Möglichkeiten bewusster zu machen, wollen wir in unserem Blog auch immer mal wieder Personen vorstellen, die hinter unseren so zahlreichen Angeboten stehen. Sie beide sind Musiklehrer an der MKS. Sie, liebe Frau Andrea Schmidt, sind Geigenlehrerin und Sie, lieber Herr Klaus Wegener, unterrichten Saxophon und Klarinette. Beschreiben Sie doch bitte mal, wie der gewöhnliche Alltag eines Musiklehrers /einer Musiklehrerin an der MKS Jena aussieht?
Andrea Schmidt: Der gewöhnliche Alltag – da muss ich mal in meinen Erinnerungen kramen, ist schon etwas her. Der Vormittag dient der Unterrichtsvorbereitung zu Hause, also zum Beispiel neue Stücke für Schüler raussuchen und einrichten, das heißt, für den Schüler angemessene Fingersätze und Striche festzulegen. Selber üben, auf dem Instrument fit zu bleiben, ist wichtig. Manchmal gibt es am Vormittag Lehrerkonferenzen oder Fachgruppensitzungen. Und viel Kommunikation mit den Kolleg*innen oder der Verwaltung, also Telefonate, Mails etc., das versuche ich auch am Vormittag zu schaffen.
Die Hauptarbeitszeit an der MKS liegt natürlich am Nachmittag. Dann ziehe ich mit meinen Instrumenten und den Noten für den Tag ins Hauptgebäude in der Ziegenhainer Straße oder in die Außenstelle nach Lobeda und unterrichte dort bis zum Abend. Meine Schüler haben alle Einzelunterricht, dazu kommen das Instrumentenkarussell und Registerproben für das Jugendsinfonieorchester. Einmal im Monat endet der Unterrichtstag mit dem Vorspiel der Fachgruppe Streicher, bei dem dann natürlich auch eigene Schüler auftreten und betreut werden wollen.
Klaus Wegener: Das Schöne an unserem Job ist ja, dass es wenig gewöhnliche Tage gibt.
Vormittags ist meist Vorbereitungszeit, ich übe einige Stücke, die ich mit den fortgeschrittenen Schülern arbeiten werde, besonders die Klavierbegleitung muss ich mir erarbeiten. Das ist für mich eine besondere Freude, meine Schüler*innen selber zu begleiten, aber es ist auch viel Arbeit: Materialpflege wie Instrumente in Schuss halten oder Klarinetten bzw. Saxofonblätter spielbereit machen.
Bei mir steckt vormittags auch viel Arbeit in der Organisation meines Ensembles der Big Band „R&BBees“, Noten zurechtmachen, Play alongs erstellen, Konzerte planen, Konzertteilnahme bei Schülern und Eltern erfragen.
Einen Vormittag in der Woche ist eine Schulkooperation bei uns in der Schule, der „Bandunterricht“, den ich sehr liebe, der aber auch viel Vorbereitung braucht.
Nachmittags meist ab 13 / 14 Uhr kommen die Schüler*innen. Ich persönlich habe weitgehend Einzelunterricht, dass heißt, die Schüler kommen einzeln für 30 bzw. 45 Minuten zu mir und wir arbeiten, was wir die Woche vorher besprochen hatten und suchen uns gegebenenfalls neue Aufgaben. Bei einem Blasinstrument gehört neben den direkten musikalischen Aktivitäten (Rhythmus, Noten lesen, Improvisation, Theorie, Gehörtraining…) auch die Arbeit mit dem Atem dazu. Das ist stets eine besondere Herausforderung, weil jeder Mensch da sehr unterschiedlich ist und unterschiedliche Bedürfnisse hat. Da wir den Stundenplan selber mit den Schüler*innen ausmachen, baue ich mir jeden Tag wenn’s geht eine kleine Pause ein, dann kann ich mal einen Kaffee trinken gehen, oder ein paar Töne selber üben. Dann kann man (bzw. konnte man früher) auch die Kolleg*innen treffen, etwas plaudern, Probleme mit Schüler*innen oder Ensembles erörtern, Projekte spinnen. Mein Tag ist auch sehr unterschiedlich lang. Es gibt Tage, die regulär bis 21:30 Uhr gehen, es gibt Tage, die regulär schon um 17:00 Uhr beendet sind.
Worin besteht für Sie persönlich und auch allgemein der Mehrwert einer Einrichtung wie der MKS oder auch JenaKultur? Oder sehen Sie den gar nicht?
Andrea Schmidt: Die MKS ist sehr wichtig für mich. Ich unterrichte „nur“ Violine und Viola, zu einer umfassenden musikalischen Ausbildung gehört aber zum Beispiel auch der Theorieunterricht, den ich nur ansatzweise mit im Einzelunterricht abdecken kann. Außerdem gibt es für Schüler die Möglichkeit, mit Klavier- oder Cembalobegleitung zu üben, aufzutreten und auch Wettbewerbe zu spielen. So gut bin ich am Tasteninstrument nicht…
Aber das Beste für mich sind die vielzähligen Ensembles, angefangen von Kammermusik (auch fachgruppenübergreifend) über die Streichorchester bis hin zum großen Jugendsinfonieorchester. Mit Gleichaltrigen Musikstücke kennenzulernen, in vielen Wochen zu erarbeiten und schließlich in einem Konzert aufzuführen, ist ein tolles Gefühl und ein riesiger Motivationsschub für das eigene Üben, das ja doch allein am Notenpult zu Hause stattfindet. Und hilft über manche Durststrecke hinweg.
Mir persönlich liegt auch der Austausch mit den Kolleg*innen sehr am Herzen, da ist die Fachgruppe in Jena sehr miteinander verbunden. Damit man nicht nur sein eigenes Süppchen kocht, sondern auch andere Impulse erhält, andere Blickwinkel, andere Herangehensweisen an fachliche Probleme.
Klaus Wegener: Bei der Musik- und Kunstschule Jena erscheint mir der Mehrwert ganz klar. Ich habe Kolleg*innen, mit denen ich zusammenarbeiten kann, mit denen ich Probleme erörtern kann. Wir können gemeinsam Ensembles zusammenstellen, durch die wiederum unsere Schüler*innen mehr Spaß und Motivation entwickeln, natürlich auch mehr soziale Fähigkeiten. Das wirkt unglaublich zurück auf den Einzelunterricht. Gerade die Ensembles sind es, die eine Musikschule gegenüber dem selbstständigen Privatmusikunterricht so herausheben. Dadurch haben nicht nur die Schüler, sondern dadurch hat die ganze Stadt einen ungeheuren Mehrwert, denn diese Ensembles spielen überall in unserer Stadt und verschönern das Leben (Konzerte, Stadtfeste, Seniorenhäuser, Kinderheime, Schulen…) Alleine die vielen Spontanensembles, die sich jeden Sonntag um 18:00 Uhr in den jetzigen Wochen vielfach ganz spontan zusammenfinden und kleine Ständchen für die Nachbarschaft spielen, wären ohne die intensive Ensemblearbeit der Musikschule kaum denkbar.
Bei JenaKultur könnte der Mehrwert immens sein. Hier erlebe ich immer wieder eine Symbioseverhinderung. Zusammenarbeit wird aus rechtlichen Gründen verhindert oder verzögert, es haben sich in den Jahren nur sehr wenige (aber sehr beglückende) Zusammenarbeiten entwickelt. Die Konzerte unseres Musikschulorchesters mit der Jenaer Philharmonie, die Registerproben mit philharmonischen Musikern, früher die Konzerte unserer Big Band mit der Philharmonie, das Geburtstagsständchen unserer Big Band für die Ernst-Abbe-Bücherei, die Konzerte von Philharmonikern und Musikschullehrern gemeinsam im Rahmen der Philharmonischen Kammerkonzerte oder im Rahmen der WirbelWindKonzerte, das alles sind sehr schöne Ergebnisse. Das könnte, wünschte ich mir, mehr gefördert und gewollt sein innerhalb JenaKultur und seiner Einzeleinrichtungen.
Im Moment sind die Schulen und Kitas leider verwaist. Die MKS ist in Kurzarbeit. Generell müssen sich privat und beruflich viele neu sortieren, müssen neue Wege suchen und beschreiten. Beim Instrumentlernen – ich weiß aus eigener Erfahrung, wie mühsam das ist – ist die Interaktion mit dem Lehrer oder Ensemble extrem wichtig, anfangs auch natürlich ein bissel der Druck, der so entsteht, dass man ja einmal in der Woche zum Unterricht muss und sich nicht verbergen lässt, wenn man faul gewesen ist und nicht geübt hat. Gibt es für Sie jenseits des Präsenzunterrichts nunmehr Möglichkeiten, den Kontakt zu Ihren Schülerinnen und Schülern zu halten? Wie machen Sie das? Wie muss man sich das Leben eines Musiklehrers in Corona-Zeiten vorstellen? Wie motivieren Sie die Kinder, dass sie dran bleiben? Welche Erfahrungen machen Sie? Gibt es traurige oder besser noch schöne Erlebnisse in dieser schwierigen Zeit?
Andrea Schmidt: In diesen letzten Corona-Wochen hat sich vor allem mein Arbeitsplatz gewandelt. Statt in die MKS zu fahren, bleibe ich jetzt zu Hause und verbringe unfassbar viel mehr Zeit am Laptop. Ich unterrichte tatsächlich alle meine Schüler per Videotelefonat. Dafür gilt mein größter Respekt und Dank den Eltern, die damit einen großen Mehraufwand leisten. Natürlich muss man beim Online-Unterricht Abstriche machen – klanglich und dynamisch kann man nicht wirklich arbeiten. Auch Haltungsfehler oder Verspannungen korrigieren ist verbal schwierig. Da ist der Präsenzunterricht unabdingbar. Oft lasse ich die Schüler*innen eine Aufnahme von ihrem Stück machen, die sie mir schicken. Dann höre ich mehr, und gleichzeitig wird die Selbstwahrnehmung der Schüler gefördert, die sich dann fragen: „Will ich das jetzt so schicken oder kann ich das noch besser?“ Das funktioniert vor allem bei den älteren Schülern, die man auch schon etwas länger kennt.
Die jüngeren, besonders die Anfänger haben es ohne direkten Kontakt schwerer. Da haben die Eltern in den vergangenen Wochen sehr geholfen, die selber erst einmal lernen mussten, wie die App fürs Stimmen funktioniert. Die meine Erklärungen zu Bogenstrich und Fingersatz für ihre Kinder „übersetzt“ und geübt haben. Und das ohne viel musikalisches Hintergrundwissen! Motivierend war tatsächlich der regelmäßige Unterricht. Die Eltern haben durchweg positiv reagiert, waren froh, dass immer Übeaufgaben da waren, die eine Woche später vorgespielt werden sollten. Manche Schüler haben die eigene Stimme eines Duos aufgenommen und dem Partner geschickt, damit man nicht so allein ist. Zu vielen Stücken konnte ich auch vorhandene Begleitungen verschicken, und in den letzten Wochen haben die Klavierkolleg*innen Stücke eingespielt, mit denen die Schüler ihre Stimme spielen können. Auch ich liebe es, dazu zu Hause zu spielen 🙂 !
Online kann auch ich nicht mit den Schüler*innen zusammen spielen, das geht leider nur abwechselnd.
Nicht zu ersetzen sind tatsächlich die Orchester, das haben auch viele Schüler gemerkt, wie sehr ihnen das fehlt. Auch wenn manche jetzt mehr Kammermusik mit Eltern und Geschwistern machen.
Schöne Erlebnisse – wenn eine Mutter schreibt, dass die Unterrichtsstunde ihrer Tochter richtig gut getan hat; wenn Eltern Videos schicken, in denen die ganze Familie ein selbst arrangiertes Stück spielt; wenn ein Schüler mir per Skype trotz mieser Verbindung einen ganzen Konzertsatz vorspielt und die Freude an der Musik deutlich zu hören ist.
Klaus Wegener: Natürlich gibt es da traurige und glückliche Erfahrungen. Das entscheidende für mich war das Gefühl, jetzt mit viel mehr Ruhe arbeiten zu können. Die Schüler waren entspannter, der online-Unterricht war oft vormittags, die Schüler waren konzentrierter und die meisten kamen dadurch sogar schneller voran. Das war wirklich überraschend. Es gab den Unterricht über eine der Internet-Chat-Plattformen, das fühlte sich fast wie normaler Unterricht an, außer, wenn die Verbindung schlecht wurde. Mit einer Schülerin habe ich minutenlang an einem Rhythmus gearbeitet, weil immer wenn die entscheidende Stelle kam, das Netz hängen blieb und ich wieder nicht erkennen konnte, ob der Rhythmus jetzt verstanden wurde. Viel Kreativität war gefragt, um zum Ziel zu kommen. Wie kann man Zusammenspielen, wenn die Verzögerung der Internet-Kommunikation ein Zusammenspiel unmöglich macht (über Telefon parallel, eine 2. Stimme als Lehrer aufnehmen und zum Mitspielen dem Schüler schicken, Familienmitglieder beteiligen…)? Wie löst man technisch das Problem, den Schüler und ein Play along zu hören.
Es gibt Dinge, die auf der Strecke bleiben, wenn das Instrument defekt ist, kann man über online-Kommunikation nur bedingt etwas regeln, der Sound ist nicht wirklich gut wahrnehmbar, die Ganzheitlichkeit des Schülers wird durch das Netz etwas eindimensionaler.
Aber gerade, wenn die Schüler Filme schickten und ich diese Filme per Mail oder Telefon kommentierte, wurde die Arbeit sehr fruchtbar. Der Schüler und ich konnten die Aufnahme mehrfach hören und gemeinsam feststellen, wo noch Entwicklungspotential ist. Diese Art des Unterrichtes finde ich sehr wertvoll und würde sie gerne beibehalten. Auch wenn das für Schüler UND Lehrer deutlich mehr technischer Aufwand und Zeitaufwand ist.
Sehr genossen habe ich es zwischen zwei Unterrichtsterminen mit einer Tasse Kaffee im Garten zu sitzen und mir Gedanken über den vergangenen oder kommenden Unterricht zu machen oder einfach nur zu entspannen.
Was wollten Sie schon immer mal loswerden: an die Öffentlichkeit, an die Politik, an JenaKultur oder auch Ihre Kolleginnen und Kollegen und Ihre Schülerschaft. Dies kann ein Wunsch, ein Appell oder auch nur eine Wahrnehmung sein.
Andrea Schmidt: An meine Kolleg*innen: Ich freue mich darauf, euch endlich wieder zu sehen! Und ich hoffe, dass der Bruch, den wir in der vergangenen Zeit erleben mussten, der Bruch zwischen angestellten Lehrern und Honorarkräften wieder mit Vertrauen ausgefüllt werden kann. Ich bin selber viele Jahre meines Berufslebens ausschließlich freischaffend gewesen und genieße nur zur Zeit das Privileg einer befristeten Vertretungsstelle, die mich nicht von heute auf morgen komplett ohne Einkommen dastehen lässt.
An die Politik: Kultur ist unverzichtbar für eine soziale Gesellschaft. Und sie rechnet sich nicht sofort in zahlenmäßigem Gewinn. Aber beim Musizieren lernen Kinder zuzuhören. Gemeinsam Musik machen (wie im Orchester) kann man nur miteinander, nicht gegeneinander. Wettbewerb funktioniert an der Stelle nicht, wenn man ein harmonisches Ergebnis haben möchte. Wer ein Instrument lernt, übt durchhalten und an einer Sache lange dranzubleiben, auch wenn die ersten Versuche mühsam sein können. Und wird mit Gemeinschaftserlebnissen belohnt.
An meine Schüler*innen: Danke für eure Bereitschaft, auch unter ungewöhnlichen Bedingungen zu musizieren, zu lernen und dabei Spaß zu haben! Ich hoffe, euch ab der kommenden Woche gesund und munter wieder live zu sehen und vor allem zu hören.
Und einen riesengroßen Dank an unsere Chefin, Yvonne Krüger, die sich ihr erstes Jahr als Direktorin sicher auch anders vorgestellt hat und einen fantastischen Job macht!!!
Klaus Wegener: Ich wünsche mir sehr, dass wir aus der Corona-Zeit bzw. aus der Zeit des Shut-Downs ein Stück der Ruhe und ein Stück dieses Gemeinschaftsgefühls, gemeinsam durch eine Krise zu gehen, retten. Vielfach haben wir gemerkt, dass wir viel weniger brauchen, dass die Ruhe gut tut. Das ist glaube ich zu allererst ein Appell an mich selber. Wir merken jetzt, was uns wirklich wichtig und lebensnotwendig ist. Das hilft bei der Konzentration.
Die Reduktion der Arbeitszeit unserer Honorarkollegen auf Null und die Verpflichtung, dass sie ihre Schüler mit nur Privatverträgen weiterunterrichten dürfen, hat mich beunruhigt. Dieses Zweiklassensystem an einer Musikschule ist nicht gut und schadet. Ich wünsche mir sehr, dass wir da, wo die Kolleg*innen das wünschen, eine andere Lösung finden.
Wir bedanken uns für das Gespräch!