Seit November 1991 bin ich bei der Stadt Jena auf dem Gebiet der Beitragserhebung für die Herstellung, Erneuerung und/oder Verbesserung von öffentlichen Straßen tätig. Als ich im Frühjahr 1991 zum ersten Mal nach Jena kam, hatte ich mir zuvor bereits Gotha angeschaut – beruflich, was heißt: vor allem die Straßen genau betrachtet. In dieser Zeit hatten die Autobahnen in Thüringen noch überwiegend Betonplatten als Oberfläche und am Rande keine Leitplanken: DDR-Standard eben.
Was ich in Gotha vorfand, waren „schlechte Pflasterstraßen und Schlaglochpisten“, wie es Beitragsexperte Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht a. D.. 1992 in einer Schulungsveranstaltung auf den Punkt brachte. Und wie sah es in Jena aus? Auch hier gab es Schlaglochpisten, schlechte Pflasterstraßen und Gehwege in „bescheidenem“ Zustand; zudem hatte die Stadt Jena überwiegend keine eigene Straßenbeleuchtungsanlagen sondern war mit ihrem Leuchtenköpfen an den Freileitungsmasten der Stadtwerke sozusagen „zu Gast“. In den drei Jahren bis Anfang 1994 jedoch änderten sich in unserer Stadt die Dinge gewaltig. Der damalige Baudezernent Peter Schulze (im Amt von 1990 bis 2000) hatte u. a. die Maxime ausgegeben, alle vorhandenen Hauptstraßen Jenas binnen zehn Jahren grundhaft zu erneuern und notwendige, neue Verkehrswege zu bauen.
So entstand zum Beispiel die Wiesenstraße, wie wir sie heute kennen. 1991 bestand diese allein aus dem Straßenstück an der beginnenden Löbstedter Straße (das heute zur Sackgasse geworden ist) und dem einige Kilometer entfernten alten Betriebsstraßenteil an der Großbäckerei in Zwätzen, an dem sich 1990/91 auch noch der Thüringer Technikhandel und wenig später das erste Kaufland angesiedelt hatten. Doch schon 1992 wurden an der Wiesenstraße die ersten Baumaßnahmen in Richtung Süden begonnen und dem neu angelegten Saalegewerbepark Jena auf ehemaligem Zeiss-Terrain eine weitere Zu- bzw. Abfahrtsmöglichkeit gegeben. Genutzt wurde die Wiesenstraße aber von Anfang an ebenso gerne von den Jenaer Bürgern und denen aus dem Umland, die schneller ins Stadtzentrum kommen wollten.
1993 wurde die sog. Osttangente zwischen der Straße Am Anger und dem Nollendorfer Hof geplant, die einher ging mit dem Neubau der Straßenbahnstrecken; vier Jahre später war sie fertig. In Lobeda-Süd entstand – ursprünglich für die Fa. Philipp Holzmann gedacht – das Gewerbegebiet, in dem heute direkt zwischen Autobahn und McDonalds Firmen wie Hornbach, BM Böttcher, EVER Pharma oder Asclepion angesiedelt sind. Und nicht weit entfernt baute Alfred Muschweck damals sein „Lobe Center“. Während die Investoren von der Stadt Jena seinerzeit dazu gebracht werden konnten, die für Ihre Projekte notwendigen öffentlichen Straßen selbst zu bauen und zu bezahlen, sah es für die „normalen“ Grundstückseigentümer in unserer Stadt oft bitter aus: teiweise sehr hohe Straßenausbaubeiträge waren zu bezahlen als Co-Finanzierung neben dem Anteil, den die Stadt Jena hierbei zu tragen hatte. Unter anderem dies führte dazu, dass der ehrgeizige Plan von Peter Schulze nach und nach aufgegeben wurde.
Als 1994 die Eingemeindungswelle in Thüringen anstand – von der Landesregierung „Gebietsreform“ genannt – dachten sich einige Gemeinderäte im Umland der damaligen Stadt Jena, sie könnten die im Gesetz vorgesehenen Beitragslasten für ihre Einwohner, die schon bald Neu-Jenaer werden sollten, dadurch senken, dass sie per Dekret festlegten, ihre Grundstückseigentümer hätten (wie zum Beispiel in Isserstedt geschehen) „keine Gebühren und Beiträge für Wasser, Abwasser und Straßenbau“ zu zahlen. Die hiervon betroffenen Bürger vertrauten auf die Weisheit ihrer Oberen, mussten am Ende jedoch feststellen, dass sich diese schlichtweg geirrt hatten: Verwaltungsgerichte kassierten die Gemeinderatsbeschlüsse.
Im Gegenzug sorgte die Stadt dafür, dass die durch die Bauaufträge eingehenden Rechnungen gezahlt wurden (Isserstedt hatte beispielsweise nur vier Wochen vor seiner Eingemeindung Baufirmen beauftragt, nahezu alle Ortsstraßen grundhaft zu erneuern – die Rechnungen hierfür gingen dann an die Stadt) und trotzdem die zu erhebenden Straßenausbaubeiträge durch Stundungen oder langfristige Ratenzahlungen zu keinen extremen finanziellen Problemen für die hiervon betroffenen Grundstückseigentümer führten.
Heute hat sich die Beitragszahlung für den Bau oder die Erneuerung von öffentlichen Straßen in Jena etabliert und ist auch von vielen Bürgern akzeptiert. Dafür sind die Straßen in unserer Stadt im Jahre 2016 keine schlechten Pflasterstrecken und Schlaglochpisten mehr, die Straßenbeleuchtung strahlt in energieeffizienter LED-Technik auf sanierten Gehwegen. Das aktuelle Jenaer Stadtbild ist, was die öffentlichen Straßen betrifft, im direkten Vergleich mit anderen Städten der früheren DDR, vorbildlich zu nennen.
gez.
Rainer Sauer
Leiter der Abteilung Beiträge
der Stadt Jena im Kommunalservice Jena
Hinweis: Bericht veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von „JEZT – Jenas Zukunft mitgestaten“; dort ist er zuerst erschienen.