„Ohne Proben ganz nach Oben“, war das interne Motto der legendären Falkenhorst-Show, mit der Rainald Grebe und René Marik im Kassablanca ein Stück Theater-Geschichte geschrieben haben. Bei unserem Treffen in Berlin erzählen die beiden Star-Comedians, wie sie in Jena gelandet sind, wieso es die wichtigsten Jahre ihrer Karriere wurden – und weshalb es zu einem unrühmlichen Ende kam.
Ihr habt zur gleichen Zeit an der Schauspielschule Ernst-Busch in Babelsberg studiert und dort mit Diplom im Puppenspiel abgeschlossen. Ihr seid fast gleich alt, stammt beide aus der westdeutschen Provinz (Westerwald und Siegerland) und wart zwischen 2000 und 2004 am Theater Jena beschäftigt. Beschreibt bitte mal, wann und wie die ersten Begegnungen zwischen euch so waren!
René Marik: Ich war im dritten Studienjahr, wir haben Goethes Faust mit Puppen inszeniert. Meine Dozentin war Claudia Bauer, die später künstlerische Leiterin am Theater Jena geworden ist.
Rainald Grebe: Ich war schon raus aus der Uni.
René: Aber er hat den Faust gespielt. Tilla Kratochwil, die dann auch Schauspielerin in Jena wurde, spielte Gretchen. Und dann gab es drei Mephistos, ich war einer davon. Später bei unserer Diplominszenierung war Claudia Bauer ebenfalls Regisseurin. Da war ich Tarzan, Rainald war Clayton und Tilla war Jane.
War das gleich Liebe auf den ersten Blick bei euch?
Rainald: Ja natürlich, Liebe!
René: Ich hab Rainald zuerst gesehen, als er zusammen mit einem Professor, den ich toll fand, die “Rettung des Weltraumes” gemacht hat, ein Musical, das ich echt großartig fand. Und dann gab es noch…
Rainald: “Athleten der Herzen.”
René: Genau, so eine Freakshow, wo Claudia ebenfalls Regie geführt hat. Ich hatte total Lust mit ihr zusammen zu arbeiten, aber eben auch mit Rainald, weil er ja immer mit dabei war. Und dann haben wir Faust zusammen am Theater in Halle gemacht, haben zum ersten Mal zusammen in einer Bude gewohnt. Ich weiß noch, wie wir da Super 8-Filme vom Flohmarkt zusammengeschnitten haben.
War das euer erstes festes Engagement?
Rainald: Nee, das war nur für dieses eine Stück.
René: Im Hauptstudium geht man immer für eine Inszenierung an ein Theater.
Und was war das dann genau, was so gut funktioniert hat zwischen euch?
Rainald: Der Geschmack vielleicht?
René: Ja? Ja.
Rainald: Dass man ungefähr über die gleichen Sachen lacht. Das ist es ja meistens. Es war auch eine erfolgreiche Inszenierung, das hilft ja auch. Und dann gab es das Angebot, Jena zu übernehmen.
Ich zitiere mal aus einem Artikel aus der Zeitung „Neues Deutschland“ aus dem Januar 2000:
“Die Gesellschafterversammlung des Theaterhauses Jena hat im Frühjahr 1999 beschlossen, die Verträge aller künstlerischen Mitarbeiter zu lösen, um eine neue Crew mit einem anderen Konzept zu suchen. Die experimentierfreudige Ästhetik unter Sven Schlöttke, in den letzten Jahren umgesetzt vor allem mit der freien Gruppe Theater Mahagoni, hatte sich zwar als Publikumsmagnet bewährt, bewegte sich inhaltlich und formal auf der Höhe der Zeit und wurde also entsprechend mit starkem überregionalen Echo belohnt. Doch das basisdemokratische Gremium befand, es müsse jetzt mal wieder »was anderes« her. Und auch Schlöttke mochte nicht mehr in den alten Strukturen, die seine Entscheidungskompetenz stark einschränkten, arbeiten. Also wurde gekündigt, ehe eine Alternative in Sicht war. Klar war nur, sie sollte jung sein, dem Selbstverständnis des Hauses entsprechend.”
Rainald: Die Gesellschafter*innen waren selbst einst Absolventen der Ernst Busch und guckten deshalb dort in die Regieklasse: Wer ist in der Abschlussklasse, wer ist gerade auf dem Sprung?
René: Claudia, die ich als Regisseurin so toll fand, hat sich eine Truppe zusammen gesucht, wo ich zum Glück mit dazu gehört habe. Und Rainald war mit Claudia zusammen damals.
Es gab damals ziemlichen Streit am Theater Jena…
René: Naja, die waren ja auch sehr lange dort zusammen…
Rainald: …acht Jahre…
René: …und Theater zieht oft spezielle Persönlichkeiten an. Profilneurosen findest du da en masse, und dann passiert sowas irgendwann.
Das Theater war an einem Scheideweg angekommen.
Ich zitiere mal aus einem Artikel der Taz aus dem April 1999:
“Wichtig war den jungen Gründern (…) die Utopie von einer gleichberechtigten Theaterarbeit. Das anfänglich ausgeprägte Mitbestimmungsmodell entwickelte sich dabei zu einem realistischen Mitverantwortungsmodell. Anfangs gab es die wöchentliche „Matrosensitzung“ (das Theaterschiff sollte gemeinsam auf Kurs gebracht werden), es gab Kommissionen für alle möglichen Probleme und Entscheidungen. (…) Es durfte nicht nur jeder jeden kritisieren, es sollte sogar jeder sich folgenreich äußern können. „Wir waren mächtig auf der Suche nach neuen Spielregeln, und es hat auch barbarisch gekracht“, sagt ein Schauspieler im Rückblick (…). Doch alle Bemühungen scheinen vergeblich gewesen zu sein: Die einen beklagen eine dennoch erfolgte Entwicklung zu einer Art Intendantenmodell, die anderen verlangen, diese zu institutionalisieren. Jenseits des Krachs, der nicht nur etwas mit Konzepten, sondern auch etwas mit Personen zu tun hat, zeigt sich an der Entwicklung des Theaterhauses Jena ganz deutlich: Mitbestimmungs- oder Mitverantwortungsmodelle sind harte Knochenarbeit, wenn erst einmal die Begeisterung des Anfangs sich im theatralen Alltagsgeschäft behaupten muß.“
Rainald: Das Schlimme war, dass die immer alles gemeinsam in einem Plenum entschieden. Die haben sich so gestritten, dass sie sich irgendwann gegenseitig aus der Gesellschafterversammlung des Theaters rausklagten. Schlimmste Grabenkämpfe!
René: Rosenkriege! Aber als wir die ersten Inszenierungen draußen hatten, fanden sie die ganz furchtbar. Dann haben sie uns immer erzählt, wie toll das alles am Theater war, damals.
Rainald: Das war denen nicht politisch genug, was wir gemacht haben, zu lustig, zu wurschtig. Die kamen ab und zu vorbei, zu irgendwelchen Sitzungen oder Spielplanvorstellungen. Dann wurde immer schnell geschrien.
Eure Vorgänger konnten nicht loslassen?
René: Jena hat für sein Theater ein außergewöhnliches Konzept. Es ist eine gGmbH, deren Gesellschafter*innen die Theaterangestellten selbst sind. Und wenn du da Gesellschafter*in bist, kommst du aber auch nicht so einfach wieder raus. Die gGmbH muss ja weiterhin wirtschaften, da hängen auch die Fördergelder der Stadt und des Landes dran.
Das Theater – als gemeinnützige GmbH – hatte damals ein Budget von etwa vier Millionen DM, heute sind es knapp vier Euro Millionen Euro. Es geht als auch um einiges.
Rainald: Üblicherweise haben Theater einen Vertrag mit der Stadt. Der hat eine Laufzeit, und dann redet man irgendwann darüber, ob verlängert wird oder nicht. In Jena gab es aber keine Laufzeit, deswegen haben die sich praktisch selber verlängert, oder halt nicht, und wenn man sich nicht mehr mag, oder sich das gegenseitig nicht mehr gönnt, dann wird es eben schwierig.
Das Theatermodell in Jena – hatte das so einen guten Ruf, dass ihr schon wusstet: das macht sich gut auf dem Lebenslauf?
Rainald: Ich kannte das nicht.
René: Wir waren frisch von der schule, hatten überhaupt keine Ahnung. Ich war zuvor noch ein Jahr in Halle an einem klassischen Stadttheater, und war echt froh, als ich da wieder weg war. Es war schon echt ein Geschenk, dass wir an so einem kleinen Haus mit einer großen Vision frei schalten und walten konnten, dass wir da kein Abo-Publikum bedienen mussten mit irgendeiner Scheiße. Dass wir als Truppe zusammen hin sind und geilen Scheiß machen konnten.
Rainald: Was heißt kleines Haus? Als ich das erste Mal davor stand, dachte ich, das ist riesig, das kriegen wir nie. Ich war da nicht so selbstbewusst.
René: Nee, ich auch nicht.
Rainald: Gleich nach dem Studium so eine Hütte zu kriegen, das kam mir utopisch vor.
René, du hast auch mal gesagt, dass es für dich eine große Befreiung war, nach Berlin zu gehen und die westdeutsche Provinz hinter dir zu lassen. Wie war es, dann in Jena anzukommen?
René: Das war schon ne krasse Entscheidung. Denn ich hab Berlin geliebt, oder lieb’s auch immer noch. Ich hab damals Haus besetzt, hier in Friedrichshain, und dann wegzugehen, nach Jena – wo ist das überhaupt? Noch nie gehört!
Rainald: Mir ging’s anders.
René: Ich hab das nur gemacht, weil ich Bock auf das Theater und die Leute hatte, auf Claudia und die anderen. Nach einem Jahr fand ich es dann auch toll in Jena. Aber erstmal war es so: Theater geil, ansonsten furchtbar. Danach hab ich mich in die Stadt verliebt, muss man sagen, bin da auch immer noch gerne und habe da auch immer noch Freunde.
Rainald, du hast dich selbst mal als “Provinzdödel aus gutem Haus” beschrieben, und gesagt, dass du nach Berlin gegangen bist, weil du aus “dieser wohlbehüteten westdeutschen Welt” raus wolltest. Wie war dein Ankommen in Jena?
Rainald: Anders als bei René, vielleicht weil ich schon länger mit dem Studium fertig war. Wenn man nicht so richtig Arbeit hat, kann Berlin ziemlich scheiße sein. Wir hatten uns große Hoffnung gemacht, dass wir als freie Truppe den Weltmarkt erobern, und es passierte: nichts. Wir mussten plötzlich für einen Proberaum bezahlen, jemanden für die Werbung engagieren und so weiter. Man war nur mit organisatorischen Dingen beschäftigt. Und dann kackte die erste Inszenierung ab. Es war ziemlich schlimm. Deshalb war das Ankommen in Jena eher so: Ah, es geht was los! Dürfen wir das denn?
Du hattest die Schnauze voll von Berlin?
Rainald: Ich hatte Berlin ziemlich über damals, ja. Das war so verwirrend. Alle redeten über ihre Projekte und was sie grad machen. Der probt gerade hier und der macht gerade das. Und wir hatten nichts, oder wenig. Deshalb war Jena erstmal so ne Befreiung: Ja, jetzt raus hier, Arbeit! Ich hab Jena gar nicht so sehr als Provinz gesehen. Meine kleine Vorstadt da bei Köln, die war ja noch viel kleiner. Jena hat Geschichte. Und jetzt darf ich hier arbeiten und ich geb alles dafür!, das war so mein Ansatz. Ich hatte mir über das gesamte Haus Gedanken gemacht, wie so ein Dramaturg. Der ich dann ja auch wurde. Also ich hab mich da voll reingehangen und war glücklich. Denn Berlin war zu groß. Und ich verwirrt.
Wolltest du von Anfang an Dramaturg werden, Rainald?
Rainald: Nee. Aber wir haben in den ersten zwei Jahren zwei Dramaturgen verschlissen. Und dachten, bevor dann wieder irgendjemand herkommt, lösen wir das intern. Und ich hatte auch Bock. Ich bin dann ins Oberstübchen gegangen und hab da gearbeitet.
René: Genau, in den Falkenhorst! Das war so ein winziges Dachkämmerchen neben dem Malsaal. Das hieß vorher schon so. Und da…
Rainald: …da hab ich dann Pläne ausgeheckt.
Warum war die Falkenhorst Show eigentlich im Theatercafé und nicht auf der Bühne?
Rainald: Das war naheliegend. Das Kassa war noch gar nicht auf dem Plan bei uns.
René: Und war natürlich auch erstmal viel zu groß. Wir dachten, mal gucken ob überhaupt jemand kommt. Aber nach zwei, drei Shows ist das Ding explodiert.
Rainald: Man muss dazu sagen, dass wir auch auch noch eine andere “Nebenbei-Reihe” hatten, die hieß “Weltdramatik.” Da hatte der Dramaturg, der damals da war, die Idee: Schauspieler lesen neue Dramatik. Auf der Unterbühne war das. Hat keine Sau interessiert.
René: Echt, da kann ich mich gar nicht mehr dran erinnern. Musste ich da auch lesen? Weil ich kann ja nicht lesen.
Rainald: Na, vielleicht warst du befreit. Der Dramaturg war jedenfalls ganz geknickt, dass das nicht läuft. Aber unsere Bumms-Show, die wollten alle sehen, haha.
Mit Bumms-Show meinst du die Falkenhorst-Show?
Rainald: Ja. Das war auch für die Schauspieler gedacht, damit man einmal im Monat einfach loslassen und Blödsinn machen kann.
Das Konzept bestand also aus Outtakes aus den Proben für andere Stücke?
Rainald: Das hat sich alles nach und nach entwickelt. Aber der Frosch war von Anfang an dabei!
Günther Falkenhorst?
René: Ja. In der Regel gab es ein Thema. Rainald hat das immer ausgeheckt. Und dann hat jeder für sich überlegt, was man so machen könnte. Da ich ja eigentlich Puppenspieler bin, aber fast gar nichts mehr mit Puppen machte, hab ich diesen Frosch genommen, der noch aus Studienzeiten bei mir rumlag, und hab den Herrn Falkenhorst genannt.
Herr Falkenhorst hatte also ein Vorleben?
René: An der Ernst Busch hatten wir für ein Szenenstudium mal Romeo und Julia mit vier Kermit-Fröschen gespielt. Die hatten wir einfach im Comicladen gekauft. Ich kann keine Puppen bauen, das interessiert mich auch überhaupt nicht, also hab ich genommen, was da war.
Und wo kommt der Maulwurf’n her?
René: Den hat ein dänischer Student gebastelt, Nis Sögart, hier in Jena für das Stück “Die Eingeborene” von Franz Xaver Kroetz. Der Maulwurf hat es letztlich aber nie auf die Bühne geschafft…
Rainald: …das war dann so ein Fall für unsere Resterampe…
René: …Nis hatte mir den da gelassen. Das war ja nur so ein bisschen Plüsch und Schaumstoff mit Spaghetti-Armen…
Rainald: Und dann kam er ganz groß raus! Die Klammer der Show war ja, dass der Frosch und ich moderieren.
René: Wobei man sagen muss, Rainald hat hauptsächlich moderiert, und der Frosch hat ab und zu dazwischen gequakt.
Rainald: Du hast den Anfang gemacht, oder, den Anchorman?
René: Ja, nicht viel mehr. Aber irgendwann kam dann der Maulwurf dazu, und Kalle, der Eisbär. In der Regel war das so, dass ich mir morgens unter der Dusche überlegt hab, was ich abends mache, deswegen waren die Requisiten auch alle nur so doof aus Pappe ausgeschnitten. Einmal haben wir versucht, die Falkenhorst-Show zu proben.
Rainald: Die erste Show.
René: Da hatten wir ein bisschen mehr Zeit.
Rainald: Eine Woche haben wir geprobt.
René: Und das war furchtbar. Grottenscheiße. Ab da war das Prinzip: Ohne Proben ganz nach Oben!
Rainald: Also, einmal treffen musste schon sein. Den Ablauf und die Songs einmal durchmachen. Und dann hat sich das über die Jahre entwickelt. Wir wurden da richtig gut manchmal. Aber die erste Idee war schon eher, dass das so eine Art Abbruchhalde ist, das stimmt schon, eine Resterampe für das, was wir sonst so machen.
Habt ihr eine Idee, warum gerade das so gut eingeschlagen ist?
Rainald: Weil es Freude bereitet.
René: Ich glaube gerade dadurch, dass es nicht geprobt war. Das hat man natürlich gemerkt. Das war Pleiten, Pech und Pannen. Von vorne bis hinten ging alles schief. Immer. Aber es waren auch immer tolle Leute auf der Bühne, die das retten konnten. Und das war das Besondere, dass du als Zuschauer merkst: das entsteht alles jetzt gerade in diesem Moment, ohne Netz und doppelten Boden, und wird danach nie wieder so passieren. Wir hätten nie die gleiche Show nochmal in Zwickau oder Gera spielen können.
Herr Falkenhorst, Kalle und der Maulwurf – das sind bis heute deine Akteure geblieben.
René: Ja, absolut. Kalle war so ein Kuscheltier von Claudia, der lag bei ihr rum und irgendwann hab ich ihn mit eingebaut in die Falkenhorst-Show.
Gab es später nie eine ähnliche Phase in deinem Leben, wo neue Charaktere für deine Solo-Shows entstehen konnten?
René: Das Ding ist, die Figuren sind mir jede für sich ans Herz gewachsen. Und dann bin ich auch nicht so, dass ich mich hinsetze und überlege: Ah, jetzt könnte noch das lustige Wiesel dazukommen, und das könnte dann so und so sein. Ich muss irgendwas finden, irgendwas in der Hand haben und denken: Guck mal, das ist ja lustig!
Rainald, gab es in deiner Zeit in Jena Dinge, die entstanden sind, die heute noch in deinem Repertoire sind?
Rainald: Ich hab mein erstes Solokonzert 2004 in Jena gegeben, das Abschiedskonzert, wie dann auch mein erstes Album hieß. Vorher hatte ich nie einen ganzen Abend allein gemacht.
Warum der Umzug ins Kassa?
René: Das Theatercafé hat einfach nicht mehr ausgereicht, ist aus allen Nähten geplatzt. Und die Bühne war dafür einfach nicht geeignet.
Rainald: Diese Show-Atmosphäre konnte man da nicht herstellen, so mit trinken und rauchen. Aber das wär jetzt die Frage: Wer hat uns damals ins Kassa gebracht? Vielleicht Ilja?
René: Oder Smoking Joe?
Rainald: Also irgendjemand, den wir nicht mehr wissen, hat uns den Weg ins Kassablanca geebnet. Und, wie viel passen da rein? 100, 200? Das war von vornherein immer rappelvoll.
René: Ich weiß gar nicht, ob es Karten im Vorverkauf gab, auf jeden Fall war da immer eine ewige Schlange, und alle wollten noch irgendwie rein und das war so…
Rainald: …wie man sich das wünscht.
René: Die Anfangszeit war auch später, 9 oder 10 Uhr. Also nicht die klassische Theaterzeit um 8 oder so.
Und wie ist aus Falkenhorst dann Cinehorst geworden?
René: Irgendwann nach zwei Jahren gingen uns die Themen aus oder so.
Rainald: Es brauchte eine Veränderung.
René: Und dann kam Rainald mit der Idee zu Cinehorst: Wir nehmen uns große Filme vor.
Rainald: Filme, die man kennt. Dadurch konnte man das etwas strukturierter machen, den Stoff in Kapitel einteilen. Dann kam auch Knut dazu, mein „Sohn.“ Der war eigentlich Regieassistent bei uns, und dessen Aufgabe war es, zu kiffen. Weil der hatte so eine unglaubliche Lache, wenn der bekifft war.
René: Und Thomas Alster kam dann auch noch mit dazu.
…der Philosoph und “Mitarbeiter für Dokumentation und Archiv am Theater Jena”…
Rainald: Genau. Thomas, der auch leider schon verstorben ist.
René: Der hat dann auch gesungen. “In der Moccamilcheisbar” oder so. Das war wirklich grandios! Er ist zu DDR-Zeiten Dozent für Marxismus-Leninismus gewesen, wurde nach der Wende natürlich abgewickelt und dann Sozialhilfeempfänger und landete eine ABM-Stelle am Theater, schon vor unserer Zeit. Er musste bei den Treffen der Gesellschafter Protokolle schreiben.
Rainald: Weil sie sich immer so stritten, hatten die sich überlegt, jemand muss das aufschreiben. Und da wurde dann der Philosoph Alster angestellt, “Modell Phönix” hieß das, und hat Bände gefüllt mit handschriftlichen Notizen. Was dachte der sich da bloß, als er ans Theater kam, um für die Streithähne mitzuschreiben? Gelesen hat das keiner. Aber er war da, und wurde zu einem unserer „merkwürdigen“ Menschen auf der Bühne.
René: Vor kurzem war ich übrigens in Rüsselsheim und habe mich mit unserem damaligen Jenaer Schauspielkollegen Holger Kraft getroffen. Er hat mir Aufnahmen gezeigt, die er damals im Backstage mit seiner Videokamera gemacht hat.
Rainald: Backstage beim Falkenhorst?
René: Ja, alle schön mit Sektchen…
Rainald: Ich nicht!
René: …und völlig total drüber.
Uuuuh. Kann man die Aufnahmen mal sehen?
René: Nee, das möchte niemand sehen. Das ist nur für uns lustig. Auf den Fotos von damals, das ist merkwürdig zu sehen für mich. Sieht aus als wären wir heute hundert Jahre alt, und damals zwölf.
Rainald: Das legendäre Backstage vom Kassa! Die Assel-Sofas und Kühlschränke, das Geschreibsel an der Wand.
Video: Ilja Gabler legt im Kassa backstage auf – mit Einführung von Rainald Grebe.
René: Und das geile Catering immer!
Rainald: Das war natürlich wirklich geil! Der Koch hieß Socke. Ganz fein immer. Opulent!
René: Das waren wir aus dem Theater gar nicht gewohnt.
Warum seid ihr dann weggegangen aus Jena?
René: Weil wir mussten.
Rainald: Es gab Streit, tatsächlich, richtig fiesen Streit.
René: Intrigen kann man sagen.
Rainald: Eigentlich wären wir noch ein Jahr länger geblieben. Ich dachte, Dramaturg, das kann man drei Jahre machen, dann sind insgesamt auch sechs Jahre um, und dann reichts auch mit der kleinen Stadt. Aber das wurde uns nicht gestattet.
René: Ich glaube, letztendlich war das einfach ein Fall von ausgeprägtem Machismo. Die Gesellschafter haben zusammen Zigarre geraucht und Rotwein getrunken und sind einfach nicht mit Claudia zurecht gekommen.
Rainald: Was ich ganz schlimm fand, die haben dann in die Zeitung gesetzt, es sei üblich, dass die künstlerische Leitung alle fünf Jahre wechselt, und Platz für junge Talente gemacht wird. Das war einfach Fake News, ein Dolch in den Rücken. Wir machten gute Arbeit, und dann sowas.
René: Das Theater hatte damals eine Auslastung von sowas wie 90 Prozent. Davon träumen andere Häuser. Es gab ständig überregionale Presse, wir waren in der Stadt sehr beliebt. Weil alte weiße Männer mit Befindlichkeiten nicht mit ner starken Frau klar gekommen sind, haben die uns gekantet.
Rainald: Die Falkenhorst-Show mochten die auch nicht. Naja, der Abgang war unrühmlich.
Ein kurzes Fazit eurer Zeit in Jena?
Rainald: Eine tolle Zeit! Ich kam zurück nach Berlin und war richtig geerdet. Ich konnte sagen: das mag ich oder mag ich nicht. Das war so eine innere Stärke, eine Normalität im Zugriff auf die Dinge. Das hat mir Jena gegeben.
René: Jena hat den Grundstein gelegt für alles. Es war eine sehr intensive Zeit, wo man herumprobieren und herausfinden konnte: Wer bin ich, was liegt mir, was will ich?
Das Kassa feiert dieses Jahr seinen 30. Geburtstag! Ein Jahr lang werde ich mich als Stadtschreiber mit den Menschen treffen, die diesen einzigartigen Verein und Club geprägt haben, und ihre Erinnerungen aufschreiben – und natürlich mit Ihnen/dir teilen, hier auf diesem Blog, auf Facebook und Instagram.
Welche Geschichten und Erinnerungen verbinden Sie/verbindest du mit dem Kassablanca? Haben Sie/ hast du noch irgendwo alte Fotos von Ihnen/dir und Ihren/deinen Freunden im Kassa? Ich freue mich auf Post an: allesgute@kassablanca.de
Auch schön immer noch anzusehen, Rene Marik als Stargast im Clip für Freude am Tanzen!
https://www.youtube.com/watch?v=9bkw7URyleM
Gruß aus dem GOLDEN ELDORADO!
😅
Hallo , es gibt keine Filmhochschule Ernst Busch in Babelsberg. Es gibt die Schauspielschule Ernst Busch in Berlin Mitte und/oder Filmhochschule Konrad Wolf in Babelsberg.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Pickart
Ja, Sie haben recht. Ist halt für die Beiden auch schon eine Weile her; deshalb haben sie wohl nicht moniert. Wir geben den Hinweis – danke dafür – an Herrn Gesellmann gern weiter.
Nochmals danke für den Hinweis, wir haben es korrigiert. Schönes Wochenende!