News // 08.07.2022
Ein Interview mit Oliver Jahn
Oliver Jahn ist in Jena wohl jener bunte Hund, an dem gemeinhin Bekanntheit gemessen wird. Mit Christian Gesellmann sprach er bereits ausgiebig über sein bewegtes Leben im Jena der 80er Jahre, später in Berlin und noch später wieder in Jena. Ich erreiche ihn an einem herrlichen Frühsommertag in einem Park in Bad Sulza, durch den früher auch Goethe geritten sein soll “mit Konkubine”, wie Olli mir versichert und genauso mache er es auch “nur ohne Konkubine und ohne Pferd.” In der untergehenden Sonne spricht er von seiner Zeit bei der Kulturarena während ihn der Gesang der Vögel im Hintergrund durch den Äther in meine Wohnung begleitet.
Angefangen hat alles als Aufbauhelfer, 1993 muss das gewesen sein, bevor er eines Tages Carsten Müllers Posten des Stage Managers übernahm, damals, als das Ganze noch Bühnenmanager hieß. In dieser Funktion war er erster Ansprechpartner für die Bands, aber auch Koordinator und Motivator für das Team der Aufbauhelfer:innen.
Ich glaube, es war wichtig, die Idee und die Philosophie der Kulturarena so ein bisschen zu vermitteln. Wenn man das begreift, ist man auch Teil des Ganzen und gewillt, sich in einer guten Form einzubringen. Das sind meist Studierende, die haben oft noch nie auf dem Bau gearbeitet, fanden es cool bei der Arena zu arbeiten, waren vielleicht auch hin und wieder ein bisschen verträumt. Manchmal waren sie sich vielleicht auch zu schade für gewisse Aufgaben. Ich komme da aus einer anderen Welt, habe im Heizkraftwerk gelernt, als Schweisser „Unter Tage“ gearbeitet und musste mich als junger Hippie in Kollektiven einreihen, da war so ein Teamgedanke total wichtig. Und dann habe ich in der Kulturarena den jungen Leuten gern vermittelt, dass alle zusammen arbeiten, alle zusammen Pause machen, alle zusammen feiern. Dass es das nicht gibt, dass einer gemütlich isst, einen Joint baut oder Alkohol trinkt, während die anderen arbeiten. Wenn alles getan ist, kann man auch zusammen feiern und Spaß haben.
“Ablaufgaranten” nannte man damals die zahlreichen Helfer:innen, die mit ihrer Arbeit zum reibungslosen Gelingen des Festivals beitrugen. Doch auch zu den zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern hatte er ein besonderes Verhältnis. Sein Geheimrezept in diesem Bereich war recht einfach. Meist reichte ein einziger netter Spruch zur Begrüßung, um die Marschrichtung für den restlichen Tag vorzugeben.
In dieser Szene wird sich erst einmal in ironischer Weise ein dummer Spruch an den Kopf geknallt, bei dem beide Seiten wissen “Aha, das ist genau so ein Idiot wie ich, der versteht Spaß und ist trotzdem professionell, will aber keinen krampfigen Tag verbringen. Der will, dass wir Spaß haben zusammen.”
Das funktionierte zum Teil so gut, dass einige Bands gar nicht mehr weg wollten. The Cat Empire zum Beispiel hatten eine Reihe Off-Days in Jena und da den Australiern schnell langweilig wurde, tauchten sie jeden Abend vor der Arena-Bühne auf und wollten, dass Jahn etwas mit ihnen unternahm. So ging er mit ihnen mal ins besetzte Haus und mal ins Kassablanca. Abwechslung musste sein, schließlich sah sich Jahn auch ein wenig als Botschafter der Stadt, erzählte den Bands, was es mit diesem Turm auf sich hat, der direkt im Zentrum der Stadt und im Blickfeld der Bühne liegt, was diese Intershop-Leuchtschrift bedeutet und was in früheren Zeiten mit Intershop gemeint war.
Die Wünsche und Sorgen einer tourenden Band kennt Oliver Jahn aus eigener Erfahrung. Mit den Los Banditos hat er etliche Konzerte gespielt, stand auch bereits auf der Bühne der Kulturarena und beim Theaterspektakel wirkte er ebenfalls mit. Das erste Mal als Darsteller in “Finster, Schiller, Finster!” 1997. Später steuerte er zu mehreren Aufführungen die Musik bei. Ein Stück entstand sogar am heimischen Esstisch.
Damals hatte ich eine WG mit Rebekka Kricheldorf, die viel für das Theater geschrieben hat. Da entstand die Idee für das “Gotham City” Stück. Sie hat etwas geschrieben und mir am Abend gegeben und ich habe die ganze Nacht gesessen und konnte ihr dann am Frühstückstisch die Songs präsentieren. So haben wir Stück für Stück dieses Spektakel zusammengeschraubt.
Bühnenmanager beim TFF Rudolstadt, Theaterspektakel, Konzertarena und später kam sogar noch das Stadtfest hinzu, dessen künstlerischer Leiter Jahn ist. Über fehlende Aufgaben oder mangelnde Gesellschaft während des Sommers konnte er sich nicht beklagen. Da kann es vorkommen, dass das Umfeld der Kulturarena zur Ersatzfamilie wird. Gleichzeitig wurde er dadurch nicht nur Botschafter der Stadt für die Bands sondern auch Botschafter der Kulturarena für die Stadtbevölkerung.
Aufgrund der Tatsache, dass man so ein bisschen Gesicht der Kulturarena gewesen ist, hat man nie so richtig Privatsphäre in der Stadt gehabt. Immer und überall ist man available. Egal ob man mal mit einem Freund in ‘ne Kneipe gehen will, man wird angequatscht. Jeder will sich in Jena mit dem Festival identifizieren und jeder hat was dazu zu sagen. Ob das Ticketpreise sind, das Ticketsystem oder die Bands, die spielen – jeder ist da ein bisschen Experte.
Irgendwann war dann der Sommer vorbei und man hat die Blase Kulturarena verlassen und geschaut, wo eigentlich die anderen sozialen Kontakte geblieben sind. Am Ende der sieben Wochen, war man einfach durch. Da konnte man nicht mehr groß reden. Das war eine Intensität, die wir nie so richtig analysiert oder wahrgenommen haben. Da ist diese große Verantwortung für 2000-3000 Leute, die auf dem Platz sind, oder womöglich eine Produktion im Wert von 30.000 €, die auf der Bühne steht und wenn da was schief geht… Das macht was mit einem, das kriecht ganz subtil in einen hinein. Nach sieben Wochen bist du da am Ende.
Das zu realisieren hat jedoch ein wenig gedauert, schließlich machte die Arbeit viel Freude. Mit der Zeit aber verließen mehr und mehr vertraute Gesichter die Kulturarena, andere kamen hinzu. Mit den neuen Leuten kamen neue Ideen und Herangehensweisen. Jahn, der laut eigener Aussage Dinge und Konstellationen immer wieder hinterfragt, immer überlegt, ob man etwas verbessern kann, macht bei diesen Überlegungen auch nicht vor sich selbst Halt.
Für mich war ein wichtiger Moment, an der Stelle loszulassen. Mir ist erst dann klar geworden, dass ich sechzehn Jahre keinen Sommer hatte. Mit dem Wohnmobil oder Auto loszufahren an die Ostsee und da eine Woche pennen, oder wie jetzt viel Straßenmusik mit dem Duo Sefer I Jahn zu machen im Sommer, Leute besuchen – das kannte ich alles nicht. Ich hab Freunde, die haben mich zehn Jahre lang immer wieder zu ihrem geilen, kultigen Hoffest in die Uckermark eingeladen. Zehn Jahre musste ich absagen, weil ich da bei der Kulturarena gearbeitet habe. Jetzt fahre ich da jedes Mal hin und habe große Freude. Es funktioniert ein Leben ohne die Kulturarena [lacht].
Aber wer Oliver Jahn kennt, weiß, dass er sich nach wie vor der Kulturarena verbunden fühlt. So es der neue Zeitplan im Sommer zulasse, gehe er gern ins Konzert, allerdings spontan, ohne sich Wochen im Voraus eine Karte besorgt zu haben. Auch als Ehemaliger oder “VIP der Kleinstadt” kostenlos reinschleichen kommt für ihn nicht in Frage. Dann im Zweifelsfall doch lieber davor sitzen mit einer Decke und einer Flasche Wein.
Und in diesem Jahr?
Na ich spiele ja mit meiner alten Hippieband AIRTRAMP. 1986 wurden wir verboten. Und jetzt…ach du Scheiße, das sind 35 Jahre, spielen wir bei der Kulturarena! Finde ich toll, da schließt sich wieder ein Kreis.
Es sind sogar schon 36 Jahre, lieber Oliver, und wir freuen uns sehr darauf!
Hinter diesem spannenden Interview steckt Florian Ernst:
30 Jahre Kulturarena – gemeinsam mit Friedrich Herrmann genieße ich ein Privileg, das sonst der „Sendung mit der Maus“ vorbehalten ist und darf hinter die Kulissen blicken. Ich freue mich auf die Eindrücke und darauf, sie zu teilen.