Über die Vermittlungsarbeit des Rosenthal-Denkmals
„Ach was, Jena hat auch eine Geschichte?“, fragten am 2. Juli 2021 Schülerinnen und Schüler einer 11. Klasse des Otto-Schott Gymnasiums auf diesem Blog in Zusammenhang mit dem Bismarck-Brunnen auf dem Marktplatz. Dem Gedenkbrunnen fehle die Kontextualisierung, so die Schüler:innen, weshalb sie die Anbringung einer Erklärtafel zur historisch-kritischen Einordnung der Person Otto von Bismarck (1815 – 1898) anregen. Das Engagement der Klasse zeigt, dass junge Menschen sich wider vieler Vorurteile für (Stadt-)Geschichte interessieren und selbst aktiv werden, wenn sie auf Missstände stoßen. Ein Interesse, das im Zusammenhang mit einem anderen – sehr viel jüngeren – Denkmal in Jena geweckt werden soll.
„Ach was, Jena hat auch eine Geschichte?“ – Die Zweite
Nach fast drei Jahren künstlerischem Wettbewerb wurden im September 2020 die „Erkundungsbohrungen“ als dezentrales Denkmal für Eduard Rosenthal (1853 – 1926) an drei Standorten in Jena eingeweiht. Das ungewöhnliche, fünfteilige Denkmal wurde nicht weniger ungewöhnlich eröffnet, zogen die Gäste doch in einer von der Weimarer Künstlerin Anke Heelemann inszenierten performativen Spurensuche durch die Stadt und konnten live der Entstehung des Denkmals beiwohnen. Fünf weitere Male führte die Performance entlang der Spuren Eduard Rosenthals und legte die historischen Schichten des Stadtraums offen. Nun haben wir das große Glück, dass es im Oktober 2021 eine Wiederaufnahme geben wird. Alle, die es verpasst haben, können an vier Terminen mit dem Schauspieler Markus Fennert das Portrait des vergessenen jüdischen Rechtswissenschaftlers, Autors der Thüringer Landesverfassung von 1920/21, Uni-Rektors und Kulturbürgers Eduard Rosenthal nachzeichnen.
Darüber hinaus werden sich über das Programm „Kulturagenten für kreative schulen“ eine 12. Klasse der Jenaplan-Schule und eine 11. Klasse der Gemeinschaftsschule Wenigenjena einen ganzen Tag mit diesem kleinen Ausschnitt der Jenaer Geschichte beschäftigen. Nachdem es den Auslobern von JenaKultur und dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Uni Jena während des gesamten Wettbewerbsprozesses stets ein Anliegen war, Kontakt zu den Kulturagenten aufzunehmen und sie so in die Vermittlung des Denkmals einzubeziehen, ist es umso schöner zu sehen, dass diese Form der Zusammenarbeit nun endlich stattfinden kann.
Wie ruft man jemanden ins Gedächtnis einer Stadt?
Die Geschichte des, zu seinen Lebzeiten (und kurz danach) vielfach geschätzten, Wahl-Jenaers Rosenthal beschäftigt die Stadt seit Jahren: die Diskussion um die Rekonstruktion des verschwundenen Gemäldes Ende der 1990er Jahre, die Renovierung der Villa Rosenthal Jena im Jahr 2009 und die im selben Jahr initiierten Stipendien, aus denen jüngst ein Buch (von Dietmar Ebert) und ein Film (von Torsten Eckold) hervor gingen, das Auftauchen des Portraits von Clara Rosenthal im Jahr 2014. Mit dem dezentralen Denkmal, das aus dem Botho-Graef-Kunstpreis 2018 hervorging, wurde Eduard Rosenthal ein weiteres Mal zum Thema und sollte sich wortwörtlich tiefer in das Bewusstsein der Stadtgesellschaft bohren.
Bei der kunstinteressierten Bevölkerung ist das durch die Artist Talks und die Ausstellung der Denkmal-Entwürfe gelungen. Haben sie doch dabei erfahren, dass sich eine kritische Denkmalkunst bereits seit den 1980er Jahren etabliert hat und neben dem Jury-Vorsitzenden Jochen Gerz auch der Wettbewerbssieger Horst Hoheisel zu einem der bekanntesten Vertreter dieser zählt. Weiterhin konnte erfahren werden, dass etwa Dezentralität (bei Stih & Schnock) und digitale Medien (bei Michaela Melián) oder kontrafaktische Geschichtsschreibung (bei Luise Schröder) künstlerische Strategien sind, um Geschichte begreifbar zu machen. Diese künstlerische Dimension wird im Workshop mit den Schulklassen eine Rolle spielen. Doch geht diese auch mit der Frage einher, wie eine Stadtgesellschaft an wen erinnert. Am Beispiel Eduard Rosenthals lässt sich das besonders gut hinterfragen, ist doch der Ausgangspunkt für das Denkmalprojekt das Verschwinden seines Portraits aus der Bildnissammlung der Universität gewesen. Drei Jahre nach seinem Tod wurde das Bildnis Rosenthals als Erinnerungszeichen in Auftrag gegeben. Nur wenige Jahre später wurde es von den Nationalsozialisten verbannt und die Erinnerung an Eduard Rosenthal gelöscht. Ein Akt, der lange nachhallen sollte und den auch die Rekonstruktion des Bildes nicht rückgängig machen konnte.
Ist jemand im Stadtgedächtnis verankert, wenn man ihm oder ihr ein Denkmal gebaut hat?
In diese Kerbe schlägt das dezentrale Denkmal, wenn es durch die Inschriften in den Bohrlöchern das Wirken Rosenthals am spezifischen Ort benennt und gleichzeitig eine Leerstelle bildet. Die Aussagen würdigen den zweimaligen Rektor am Uni Hauptgebäude, engagierten Bürger am Volkshaus und den Kulturmenschen an der Villa Rosenthal in Jena sowie den Parlamentarier am Fürstenhaus in Weimar und den Demokraten am Thüringer Landtag in Erfurt. Sie werfen aber auch die Frage auf, warum er nicht schon viel früher an diesen Orten präsent gemacht wurde, und machen auf das Vergessen-Gemachtsein aufmerksam. Ist es doch erstaunlich, dass wir heute noch von Rosenthals vielfältigem Engagement profitieren, wenn wir als Bürger:innen des Freistaats Thüringen in die Jenaer Ernst-Abbe-Bücherei gehen oder Ausstellungen im Jenaer Kunstverein ansehen.
Die Schüler:innen des Otto-Schott-Gymnasiums geben mit ihrer Forderung nach einer Gedenktafel für den Bismarck-Brunnen schon die Antwort auf oben gestellte Frage: Ein Denkmal allein reicht nicht. Schon Robert Musil schreibt 1936, dass „das Auffallendste an Denkmälern“ sei, „dass man sie nicht bemerkt“. Es braucht also den wachen Blick der Stadtgesellschaft, das In-Stein-Gemeißelte, das In-Bronze-Gegossene… oder In-Wände-Gebohrte immer wieder zu aktualisieren und zu befragen. Im Fall von Rosenthal lohnt es sich doppelt, die Augen aufzuhalten, drängt sich doch sein Denkmal alles andere als auf, auch wenn es flächenmäßig wohl das größte in Thüringen ist.
Durch die Workshops mit den Elft- und Zwölftklässlern nutzen wir die Möglichkeit, den unsichtbaren Vierten hinter den Jenaer Größen Zeiss, Schott und Abbe sichtbar zu machen und im nachwachsenden Gedächtnis Jenas keimen zu lassen. Und wer weiß, vielleicht ergeben sich daraus auch Initiativen, etwa die Forderung nach Umbenennung ihrer Schule von Gemeinschaftsschule Wenigenjena in Eduard-Rosenthal-Gemeinschaftsschule oder nach einem Hinweisschild an der Eduard-Rosenthal-Straße in Jena Ost!
Ein Beitrag von Andrea Karle
Andrea Karle hat als Projektassistentin am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Uni Jena von Beginn an im Rosenthal-Projekt mitgewirkt. Gemeinsam mit der Künstlerin Anke Heelemann wird sie im Oktober 2021 die Workshops mit Schulklassen konzipieren und durchführen.
Sie wissen es, jetzt sind SIE an der Reihe! Was verbinden Sie mit Eduard Rosenthal? Oder fehlen Ihnen dazu noch die nötigen Informationen? Dann laden wir Sie gern ein, auf einen Kommentar hier im Blog oder natürlich auch zu einer Führung auf den Spuren von Eduard Rosenthal.