Hinter uns liegt eine Zeit der Veränderung, wie wir sie uns vor einigen Wochen mit ihrer Wucht und Härte nie hätten vorstellen können. Messen werden abgesagt, wissenschaftliche Kongresse werden auf unbestimmte Zeit verschoben, die großen Thüringer Festivals, wie die Kulturarena, werden im Thüringer Musikjahr 2020 nicht stattfinden. Große und kleine Veranstaltungshäuser sind auf Nullbetrieb. Theater und Orchester beenden ihre Spielzeiten vorzeitig. Künstler und Soloselbstständige irren durch die Instanzen, immer am Rand des völligen Existenzzusammenbruchs. Spezialisierte Veranstaltungsdienstleister wie Technik- und Sicherheitsfirmen, Kongress- und Konzertagenturen und viele weitere noch vor einigen Wochen völlig gesunde Unternehmen müssen Insolvenz anmelden. Unverschuldet. Die in der Veranstaltungsbranche tätigen Menschen waren die ersten, die von der Corona-Krise betroffen waren und sie werden die letzten sein, die mit ihrer Arbeit in die „neue Normalität“ zurückfinden können.
Aus der Anfang März gehegten Hoffnung, ab dem Sommer 2020 den Spielbetrieb wieder aufnehmen zu können, ist mittlerweile Gewissheit geworden, dass bis Ende August nur in geringem Umfang Veranstaltungen möglich sind. Und das nur, wenn die Zahl der Corona-Infizierten infolge der absolut notwendigen Schul- und KITA-Öffnung nicht wieder rapide nach oben schnellt. Und selbst wenn diese Entwicklung nicht eintritt, werden Veranstaltungen angesichts der notwendigen Hygieneregeln nicht auf einem wirtschaftlich gesunden Fundament durchführbar sein. Wenn dieser beschriebene Gegentrend eintritt, wird es für die politischen Krisenmanager auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene keine anderen Möglichkeiten geben, als die Lockerungen zurückzunehmen und den Lockdown wieder anzuziehen.
Dieses Szenario würde zum völligen Zusammenbruch der gesamtdeutschen und nicht nur der Thüringer Veranstaltungsbranche führen. Jede abgesagte Veranstaltung bedeutet, dass ein Künstler keine Gage erhält. Jede abgesagte Veranstaltung bedeutet, dass ein Veranstaltungstechnikunternehmen keine Umsätze generiert, um die laufenden Investitions- oder Überbrückungskredite zu bedienen. Jede abgesagte Veranstaltung bedeutet, dass ein Veranstaltungsgastronom keine Umsätze generiert. Jede abgesagte Veranstaltung bedeutet, dass der Betreiber einer Messe- oder Veranstaltungshalle keine Mieteinnahmen erzielt. Auch großen Ticketsystembetreibern, Veranstaltern, Agenturen, PCOs und vielen anderen Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette der Veranstaltungswirtschaft droht der völlige wirtschaftliche Kollaps, wenn sich die Gesamtsituation nicht grundlegend spätestens ab September 2020 verändert. Und bereits zuvor werden viele Kollegen und Kolleginnen das unternehmerische Handtuch werfen müssen. Egal, ob Verein oder GmbH, ob privat oder öffentlich, ob Sozio-, Breiten- oder Hochkultur, ob großes Festival oder kleine Lesung, ob Sportveranstaltung oder Philharmonisches Konzert, egal ob Messehalle oder Szeneklub. Nichts davon wird in seiner Definition relevant sein, wenn keine Einnahmen fließen und stattdessen die Kosten- und Verbindlichkeitsschraube sich unaufhörlich nach oben dreht.
Wir begegnen der Arbeit der Landesregierung mit hoher Wertschätzung. Wir wissen um das Ringen um die besten Lösungen und wir wissen auch, dass sich immer erst auf dem Weg feststellen lässt, ob der geplante Schritt richtig ist oder ob das Eis unter den eigenen Füßen bricht. Wir wissen aber auch, dass viele der bisher von politischen Entscheidern auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene auf den Weg gebrachten Mittel und Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die Veranstaltungsbranche vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Zinslose Kredite machen nur Sinn, wenn sie der Liquiditätssicherung auf absehbare Zeit dienen und in Höhen erfolgen, die es dem Unternehmen erlauben, eine wirtschaftliche Perspektive zu haben. Und sie machen nur dann Sinn, wenn ihre Gewährung nicht eine Reihe von Folgeeffekten, wie beispielsweise der Ausschluss von künftigen Fördermöglichkeiten, bedeutet. Die Soforthilfen wurden schnell und den Verhältnissen entsprechend unkompliziert ausgereicht, nur können sie ebenfalls lediglich ein zeitlich begrenztes Überleben sichern. Zudem erscheinen die Verwendungsvorgaben für Fördergelder oft unklar. Viele kleine Künstler wissen nicht, ob sie nur Betriebsausgaben davon bestreiten dürfen oder auch Ausgaben des täglichen Lebens. So ist z. B. die Frage, ob Krankenkassenbeiträge Betriebsausgaben sind oder eben nicht, völlig ungeklärt und umstritten. Abgeschlossene Betriebsausfallversicherungen werden von den Rückversicherern an die Unternehmen nicht ausgezahlt, weil die Verträge Nichtzahlungsklauseln für den Pandemiefall enthielten oder die Versicherer lediglich bereits entstandene Kosten, nicht aber Umsatzausfälle begleichen.
Zusammenfassend müssen wir feststellen, dass die bisher auf den Weg gebrachten Mittel Hoffnung ermöglicht haben. Sie beantworten aber nicht die Frage nach der Zukunft, die sich immer mehr Menschen in der Veranstaltungsbranche stellen müssen. Mit eingeschränkter Reisefreiheit und geltenden Quarantäneregeln können weder Künstler noch Veranstaltungstechniker Konzerte und Theateraufführungen produzieren. Sportler können keine Wettkämpfe bestreiten. Messen und Kongresse werden kaum Publikum und Aussteller finden. Mit Abstandsregeln und strengen Hygieneauflagen sind einige Veranstaltungsformate produzierbar. Aber eben nicht wirtschaftlich. Einige Formate, wie beispielsweise Stehkonzerte wird es in der Pandemie-Phase nicht geben können, wenn Abstände eingehalten und Nasen-Mund-Bedeckungen indoor getragen werden müssen. Es ist nicht vorstellbar, dass Sportevents stattfinden, Klubs öffnen und große Konzerte stattfinden, selbst private Familienfeiern sind nicht vorstellbar, wenn die beim Singen und Skandieren freigesetzten Aerosole als Risikoquelle gelten. Die Konzerte der klassischen Orchester werden nur eingeschränkt stattfinden können, weil die Hauptpublikumsgruppe gleichzeitig die Hauptrisiko-Gruppe darstellt. Die essentielle Refinanzierung über die Veranstaltungsgastronomie wird nicht möglich sein, wenn Warteschlangen vermieden werden müssen und die Hygieneauflagen steigen. Und die mögliche Auslastung der bestuhlten Veranstaltungen wird auf ca. ein Viertel der üblichen Kapazität sinken, wenn die 1,50m-Abstandregeln gelten.
Zusammenfassend bedeutet das, dass es in der Pandemie-Phase keine großen, kleinen, privaten oder öffentlichen Veranstaltungen geben kann, wenn diese über einen bloßen Symbolcharakter hinausgehen sollen.
Deshalb benötigen wir einen Strategiewechsel. Wir müssen unser Mindset der Phase 1 ändern, wenn Pandemieregeln weiter das Spielfeld unserer Möglichkeiten abstecken. Wir müssen über die Möglichkeit eines bundesweiten Rettungsschirms sprechen, der es den Unternehmen der Veranstaltungsbranche ermöglicht, bis zur Freigabe eines Impfstoffes oder einer entsprechenden Medikation, mindestens jedoch bis zum 31.12.2020, ihren Betrieb auf ein überlebensnotwendiges Minimum herunterzufahren bzw. veränderte Kosten- und Einnahmenansätze zu kompensieren und trotzdem in dieser Phase zu überleben, mit genug Potential für einen Neustart. Der Patient „Veranstaltungsbranche“ wird in ein „künstliches Koma“ versetzt. Ohne neue Kredite, deren Rückzahlung die gegenwärtige und zukünftige Liquidität der Unternehmen zusätzlich belastet. Aber mit einer Bürgschaft für bereits laufende Kredite und deren Stundung. Ohne eine stufenweise Anhebung des Kurzarbeitergeldes (nach 4 Monaten auf 70 und 77 Prozent bzw. erst nach 7 Monaten auf 80 und 87 Prozent), sondern mit einer sofortigen Anhebung auf 80 und 87 Prozent. Und mit der Möglichkeit des erneuten Antrags auf Soforthilfen unter Aussetzung des Einmaligkeit-Prinzips.
Wir dürfen bei allen Überlegungen und Maßnahmen keine Ungleichheit bei der Behandlung öffentlicher und privater Akteure zulassen. Der staatliche Ausgleich von Umsatzeinbußen bereits subventionierter Kultureinrichtungen wird von allen privaten Unternehmen nicht akzeptiert werden können, die ihre Belegschaft auf Kurzarbeit Null fahren mussten, auf eigenes Risiko Kredite aufnehmen müssen oder als langjähriger Gewerbesteuerzahler Insolvenz anmelden, weil ihnen unverschuldet die Umsätze weggebrochen sind. Eine Ungleichbehandlung führt zu einem Auseinanderdriften der in dieser Situation wichtigen Solidargemeinschaft. Die Werkleitung von JenaKultur formuliert diesen letzten Satz in vollem Bewusstsein darüber, dass die Jenaer Philharmonie und der Eigenbetrieb, von einer solchen Theater- und Orchesterstützung profitieren würden. Wir könnten diese Vorteile aber nicht gegenüber langjährigen privaten Partnern und Freunden rechtfertigen, deren Existenzen zeitgleich zerbrechen, weil sie eben nicht über ein öffentlich finanziertes doppeltes Netz verfügen, das sie auffängt.
Wir möchten deshalb mit allen politischen Entscheidern erneut im Team spielen. Wir wollen nicht nur fordern und ohne Konstruktivität kritisieren. Wir wollen die politischen Entscheidungsträger aktiv auf der Suche und Kreation von Lösungen begleiten. Mit unserem fachlichen Detailwissen, unserer betriebswirtschaftlichen Expertise, dem absoluten Willen im Kampf um Alles, was unsere Leidenschaft für unsere Arbeit und Branche ausmacht und den Erfahrungen der letzten Wochen. Eine Zukunft können wir nur gemeinsam als Partner entwickeln. Aber wir müssen jetzt und mit Klarheit über diese Aufgaben sprechen, damit wir diese bewältigen können.
Mit der Thüringer Landesregierung befinden wir uns bereits in einem konstruktiven Dialog. Jetzt bitten wir auch alle anderen politischen Akteure auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene herzlich, mit uns über Möglichkeiten zur Unterstützung der Thüringer Veranstaltungsbranche nachzudenken und dieses Signal auch auf die Bundesebene zu tragen.
Wir sind bereit und stehen zur Verfügung, gemeinsam mit Ihnen die anstehenden Herausforderungen anzunehmen. Es gilt keine Zeit zu verlieren, denn es sind nur 1,50 Meter bis zum wirtschaftlichen Abgrund.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Müller
Werkleitung JenaKultur / Veranstalter Kulturarena
Vorstand EVVC (Europäischer Verband der Veranstaltungscentren e.V.)
Im Namen von:
Jonas Zipf / Werkleiter JenaKultur
Rico Tietze / SonneMondundSterne-Festival
Petra Rottschalk / Rudolstadt-Festival
Ulrike Köppel / Weimar GmbH / Weimarhalle
Andie Welskop / Zughafen Erfurt
Kristjan Schmitt & Lutz Engelhardt / Kulturarena Jena
Thomas Sperling / Kassablanca Jena
Maik Weichert und Benjamin Mahnert / HEAVEN SHALL BURN
Christoph Drescher / Thüringer Bachwochen
Martin Kranz / Köstritzer Spiegelzelt Weimar
Heike Faude / Theaterhaus Jena
Jarne Brauns / PartySan-Festival
Raijko Görls / CONVENTUS Congressmanagement Jena
Olaf Theuerkauf / KUKM Kongress- und Kulturmanagement Weimar
Sascha Sachse / Känguruh Production Halle
Michael Appel / Konzertagentur Appel & Rompf Erfurt
Thomas Günther / Kaisersaal Erfurt
Matthias Gropp / Stadthalle Bad Blankenburg
Steffen Bernhardt / F-Haus Jena
Thomas Kastl / Sparkassen-Arena Jena
Olympiasieger Thomas Röhler / JenJavlin LC Jena
Lars Eberlein / Science City Jena Baskets
Chris Förster / FC Carl zeiss Jena
Thomas Adapoe / adapoe Event- und Studiotechnik Weimar
Jens Peterlein / Peterlein Veranstaltungsservice Jena
Frank Witte / Thüringer Eventakademie Weimar
Andreas Seiler / Centerline Event Assembly & Support Weimar
Andreas Nichelmann / Guardian Force Security Erfurt
Kai Ostermann / Filmarena Jena
Barbara Vetter / Lichtbildarena Jena
Volk-Man, Dr. Pest, Fuchs, Ady, Sir G / Die Apokalyptischen Reiter
Was spricht gegen eine freiwillige Verpflichtung der Gäste und an der Veranstaltung Mitwirkende (Crew, Organisatoren) sich vor und nach einer Großveranstaltung (z.B. Live-Event / Festival – also mit Stehpublikum) sich nach solch einem Konzert in 2 wöchige Quarantäne zu begeben?
Man setzt sich freiwillig dem Risiko aus, schützt aber andere Menschen dadurch, dass man in 2wöchige Quarantäne muss nach solch einer Veranstaltung. Das müsste dann irgendwie sichergestellt werden – dass die BesucherInnen einer solchen Veranstaltung dies dann auch tun. Wie das im einzelnen ausgestaltet werden kann, weiss ich auch nicht – aber das wäre zumindest mal eine kleine Möglichkeit, um der Veranstaltungswirtschaft zu helfen und ich muss auch sagen, dass es mir als Fan auch wichtig ist, auf Live-Konzerte gehen zu können – das gehört zu einem wesentlichen Teil meines Lebens. (Stehpuplikum – Stichwort: Metal-Konzerte!)
Auch der Detektiv- und Veranstaltungs-Service Mämpel, als Veranstalter des Konzertsommer Rudolstadt kann das Positionspapier ausdrücklich unterstützen und die genannten Forderungen, sind auch für uns besonders relevant. Auch wir hätten das Papier mit unterschrieben, was wir hiermit nachholen würden. Als Sicherheitsdienst mit Hauptauftragserbringung bei Veranstaltungen/Messen, Veranstalter und Verleiher von Absperrungen und Ausstattung sind viele Investitionen getätigt worden, welche weiterhin bedient werden müssen, dazu ist Umsatz erforderlich.
Uwe Mämpel
Open-Petition zum Thema: http://www.openpetition.de/petition/online/anderthalb-meter-bis-zum-abgrund-fuer-einen-bundesweiten-rettungsschirm-der-veranstaltungsbranche
Bitte Palm Management und Event GmbH Gregor Kajszczak
Schlösserstraße 10
99084 Erfurt
mit aufnehmen! Ich unterstütze das Schreiben!
Auch die Verlags- und Werbebranche ist von der Corona-Krise schwer betroffen mit Totalverlust der geschäftlichen Basis. Mit 60% Kurzarbeitergeld werden permanent unterbezahlte Erfahrungsträger in der Branche auf Dauer nicht zu halten sein. Und ein Hochfahren auf „Sparflamme“ nützt dieser Branche nichts. Ein Neuanfang kann nur mit entsprechenden Budgets auch für die Werbewirtschaft erfolgen – zum Nulltarif kann es keine Leistungen geben.
Die Jazzmeile Thüringen kann das Positionspapier ausdrücklich unterstützen und die genannten Forderungen, sind auch für uns besonders relevant. Wenn wir gefragt worden wären hätten wir das Papier auch mit unterschrieben was wir hiermit nachholen würden-Thomas Eckardt