Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, setzen viele größere Unternehmen auf internationale Rekrutierung und erhöhen dadurch ihre Chance, qualifizierte Kandidat:innen zu erreichen. Gleichzeitig gilt: Wer internationale Mitarbeiter:innen langfristig binden will, muss diese auch integrieren – nicht nur ins Arbeitsleben. Die Jenaer Firma TAF mobile GmbH bekam für ihre erfolgreiche Onboarding-Arbeit 2020 den i-work Business Award, der jährlich von der Jenaer Wirtschaftsförderung (JenaWirtschaft) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena ausgeschrieben wird. Wie ihr das gelang und warum sich auch kleinere Unternehmen mit regionalem Kundenstamm nicht scheuen sollten, Fachkräfte aus dem Ausland einzustellen, erklärt Sandra Melle, Prokuristin bei TAF mobile im Interview…
Frau Melle, das Unternehmen TAF mobile GmbH wurde 2003 gegründet. Gab es von Beginn an eine internationale Ausrichtung des Teams?
Sandra Melle:
Wir haben uns jahrelang, was das Personal betraf, nur auf dem deutschen Markt bewegt. Das notwendige Wachstum war aber hier nicht mehr möglich. Wir haben schlicht keine geeignet qualifizierten Leute mehr gefunden und mussten daher andere Wege gehen. Anfangs haben wir uns noch etwas gegen eine internationale Personalsuche gesträubt. Es waren viele Fragen da. Letztlich sind wir aber froh, dass wir den Mut dazu hatten, unsere Personalsuche im Ausland auch umzusetzen. Rückblickend ist es viel besser gelaufen, als wir alle erwartet hätten. Wir haben uns alle persönlich weiterentwickelt und sind an der neuen Situation gewachsen.
Inwiefern?
Sandra Melle:
Nehmen wir die Angst vor der Sprachbarriere: Mittlerweile ist die Firmensprache Englisch. Meetings sind auf Englisch, unser Confluence* dokumentiert alle Prozesse auf Englisch. Das ist ganz normal geworden. Damit haben wir auch keine Verständigungsprobleme.
* Software für die Dokumentation und Kommunikation von Wissen und den Wissensaustausch in Unternehmen und Organisationen
Lassen Sie uns nochmal einen Schritt zurückgehen zu Ihrer ersten Stellenausschreibung jenseits des deutschen Marktes…
Sandra Melle:
Wir waren damals an einen Punkt gekommen, an dem wir feststellten, dass wir aus eigener Kraft keine Leute finden. So stellte sich uns die Frage: Überlassen wir die Personalsuche einem Vermittler? Immerhin ist so etwas ja auch eine recht preisintensive Sache. Doch die Vermittler haben uns regelrecht abgelehnt zu der Zeit. Sie meinten, dass sie uns aus der IT-Branche in Deutschland niemanden vermitteln können. Es gebe dafür gar keinen Markt, da alle in Frage kommenden Personen quasi unter der Hand abgeworben werden würden. Das war eine recht ernüchternde Sache. Der Vermittler sagte mir dann, dass nicht nur der deutsche sondern auch der europäische Fachkräftemarkt dicht sei. Man müsse nach Südamerika ausweichen. So kam es, dass wir uns plötzlich in Brasilien und Argentinien nach Personal umsahen. Über den Vermittler kamen wir zu unserem ersten Mitarbeiter aus Brasilien. Ihm sind dann einige gefolgt.
Ihr TAF-Team kommt heute aus neun verschiedenen Nationen. Wie gelingt es Ihnen, ausländische Fachkräfte auch längerfristig zu binden?
Sandra Melle:
Wir haben festgestellt, dass man mit den Menschen, die zu einem kommen, eine durchdachte Integration gestalten muss. Dazu gehört auch, die Gesamtfamilie in die Überlegungen einzubeziehen. Die Abwanderungen, die wir persönlich in der Firma hatten, sind auch dadurch entstanden, dass die Partnerinnen der ausländischen Mitarbeiter hier keinen Job fanden oder sich nicht genügend integrieren konnten. So ist die Sprachbarriere in Jena noch immer ein Problem. Während man im IT-Bereich gut mit der englischen Sprache klarkommt, ist das im Alltag schon schwieriger. Wir schauen daher, dass sich die Mitarbeitenden so wohl wie möglich fühlen. So haben wir eine Kollegin, die neben ihrer eigentlichen Tätigkeit bei uns vollständig in die persönliche Integrationsarbeit eingebunden ist. Das sind oft ganz einfache Dinge, die anfallen: die Vereinbarung eines Arztbesuches oder der Wunsch mit dabei zu sein, wenn der Ableser für den Strom kommt. Dies ist unglaublich kleinteilig und aufwändig. Aber wir stecken da viel Arbeit hinein. Das tun wir natürlich auch, um die Mitarbeitenden stärker an uns zu binden. Im Normalfall versuchen wir natürlich auch gewisse Wohlfühlelemente zu schaffen, wie Feste oder Kaffeerunden. Aber das ist wegen corona derzeit recht schwierig.
Das stimmt. Könnt ihr trotzdem eine gewisse Teamarbeit umsetzen?
Sandra Melle:
Wir haben jeden Freitag ein kleines „Weekly“, wo wir uns alle zusammensetzen und danach Kaffee trinken. Wir haben versucht diese Runde etwas umzugestalten, um auch weiterhin ein gewisses Gemeinschaftsgefühl zu erhalten. Hierfür hat ein Entwickler beispielsweise ein kleines Quiz entwickelt. Dazu wurden von allen Nationen unserer Kolleginnen und Kollegen Fakten gesammelt und daraus ein kleines Ratespiel kreiert. Oder, in einer anderen Woche bekam jeder die Aufgabe alles zu fotografieren, was aussah wie ein Gesicht. Eine witzige Aktion, um Bindung herzustellen. Trotz alledem ist es schwer, Mitarbeitende langfristig ans Unternehmen zu binden.
Woran liegt das, Ihrer Meinung nach?
Sandra Melle:
Das liegt letztlich gar nicht am Team selbst sondern oft genug daran, dass sich die Partner und Partnerinnen hier nicht wiederfinden. Letztlich liegt es aber auch an Jena selbst. Leider ist die Stadt für viele doch zu klein. Unsere ausländischen Mitarbeiter kommen meist aus Großstädten und sind ein solches Umfeld gewöhnt. In Städten wie Berlin oder Amsterdam beispielsweise haben sie das Gefühl, mit Englisch besser weiterzukommen oder auch kulturell mehr Möglichkeiten zu haben. Wir versuchen das zwar aufzuhalten und geben wirklich alles, aber manchmal sind wir an dieser Stelle auch etwas machtlos.
Gäbe es hier noch Unterstützungspotential beispielsweise durch das „Welcome Center Jena“, welches ja genau bei diesen Problematiken ansetzt?
Sandra Melle:
Wir bekommen durch das Welcome Center schon sehr viel Unterstützung. In den letzten Jahren konnten wir bereits viel an Know-how aufbauen. Dennoch fehlt es immer mal wieder an ganz bestimmtem Wissen. Im Welcome Center sitzen Expertinnen, die für uns Gesetzestexte wälzen und uns für bestimmte Situationen Tipps geben, zum Beispiel wenn es darum geht, dass der Partner eine Aufenthaltsgenehmigung kriegt. Wir hatten beispielsweise gerade einen Fall, bei dem die Ehefrau unseres Mitarbeiters für ihre Aufenthaltsgenehmigung einen Nachweis für ihre Deutschkenntnisse benötigte. Zwar hatte sie bereits einen Job und verdiente ihren eigenen Lebensunterhalt, jedoch konnte die Frau wegen der corona-Situation keinen für ihre Aufenthaltserlaubnis notwendigen Deutschtest ablegen. Die Katze biss sich quasi in den Schwanz. Das Welcome Center beriet uns in dem Fall und unterstützte uns, sodass wir mit der Ausländerbehörde eine Lösung fanden. Das war eine Top-Leistung und wir fühlten uns sehr stark vom Welcome Center und JenaWirtschaft unterstützt. Letztlich sind das genau die Sachen, die man sich wünscht: dieser Know-how-Transfer an uns, dass sich mal einer mit den bürokratischen Dingen auseinandersetzt und diese aufbereitet, Denkanstöße gibt. Und das ist durch das Welcome Center Jena alles gegeben.
Sie haben 2020 den i-work Business Award in Jena gewonnen, ein Preis für den sich Ihre Firma bereits zum zweiten Mal beworben hatte. Was bedeutet Ihnen diese Verleihung?
Sandra Melle:
Der Preis bedeutet uns wirklich sehr viel. Er ist auch ein Symbol dafür, welche intensiven und oft ehrenamtlichen Bemühungen unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen leisten. Die gehen beispielsweise am Wochenende noch Wohnungen besichtigen. Das sind Dinge, die kann man eigentlich gar nicht verlangen. Die machen wir aber, damit es gelingt. Mit dem Preis sagen wir auch an unsere eigenen Leute: „Dankeschön, dass ihr uns so unterstützt!“ Das war unsere Hauptmotivation. Natürlich ist es auch ein Personalmarketinginstrument. Mit dem Preis drückst du ja auch aus, dass du ein weltoffenes Unternehmen bist, welches sich um seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kümmert. Dass man hier in ein gutes Team hineinwachsen kann, das es gewohnt ist, mit verschiedenen Nationalitäten zusammenzuarbeiten.
TAF entwickelt u.a. mobile Ticketlösungen für den öffentlichen Nahverkehr. Ihre Kundschaft ist vielfach in Deutschland verortet. Wie profitiert sie von einem internationalen Team?
Sandra Melle:
Tatsächlich haben wir nur deutschsprachige Kunden. Wir haben das Glück, dass diese in der Lage sind, englischsprachige Meetings mit uns durchzuführen. Speziell Entwicklermeetings. Im Arbeitsprozess bereichern die vielen Nationalitäten eher, da viele bereit sind, auch über den Tellerrand hinaus zu blicken. Die kulturelle Vielfalt bewirkt, dass wir frei und offen agieren. Natürlich gibt es auch Barrieren. So können wir keine rein englischsprachige Projekt- oder Salesmanager einstellen. Auch sind im ÖPNV-Bereich, einer recht konservativen Branche, alle Dokumentationen- und Schnittstellenbeschreibungen deutschsprachig. Das ist eine Herausforderung, die wir täglich meistern müssen.
Was würden Sie einem Unternehmer entgegnen, der sich davor scheut sein Team international aufzustellen?
Sandra Melle:
Mir fällt sofort ein Satz ein: „Wachstum ist nur außerhalb der Komfortzone möglich.“ Nur wenn man sich auch außerhalb der altgewohnten Abläufe bewegt, passiert etwas. Daher würde ich jedem raten, den Mut aufzubringen. Man ist flexibler, veränderungsbereiter und anpassungsfähiger an sich. Das hilft dem ganzen Unternehmen in seiner Unternehmenskultur weiter.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!