Mit Headset im Ohr und tausend Sachen im Kopf schwirren sie am Konzertabend umher, alle Fäden laufen bei ihnen zusammen. Heike Faude und Kristjan Schmitt sind die ehemalige und aktuelle Produktionsleitung der Kulturarena und ich will wissen: Sind sie wie die Spinne im Netz oder einfach gute Vermittler? Wir treffen uns zum Gespräch in der weitläufigen Backstage-Area der Kulturarena – der mit reichlich Industriecharme hergerichtete Garderoben- und Bar-Bereich im Theaterhaus. Die beiden kennen sich gut als Heike und Kristjan, sie wird von ihm immer noch mit „Chefin“ begrüßt und auch mir sofort das Du angeboten.
Was macht eine Produktionsleitung?
KRISTJAN: (lacht) Alles!
HEIKE: Wäre auch meine erste spontane Antwort gewesen, alles!
KRISTJAN: Du bist verantwortlich für das gesamte Festival, benötigst den Überblick und musst einen klaren Kopf behalten und alle beteiligten Gewerke, Kollegen und Kolleginnen immer abholen, einbinden und das Ganze einfach gut durchführen.
HEIKE: Ja, noch globaler beantwortet, könnte man sagen, dass man alles wissen, kennen und erkennen muss – und das dann verteilen. Es ist kein Unterschied, ob du eine Produktionsleitung in der Villa Rosenthal mit einem Solopianist machst oder ein 3000er Konzert. Der Auftrag ist immer derselbe.
Ihr könnt mich gern mal durch euer Jahr führen.
KRISTJAN: Vor dem Festival ist nach dem Festival. Manchmal laufen Planungen auch über mehrere Jahre …
HEIKE: … wie zum Beispiel Anpassungen an eine Baustellensituation …
KRISTJAN: Ja unbedingt! So richtig Luft gibt’s eigentlich nie. Es gibt manchmal Phasen, in denen hat man ein bisschen mehr Zeit für Recherche. Die Kulturarena sollte 2020 und 2021 ins „kleine Paradies“ umziehen – da gab es viel Vorarbeit. Es gab eine grüne Wiese und sonst nichts. Strom, Wasser, Abwasser. Was passiert mit dem Rasen? Ich brauche Toiletten, Gastrostände – ich muss eine komplette Infrastruktur schaffen. Ich muss alles beleuchten. Ich brauche ein gutes Besucherleitsystem, ein gutes Fluchtwegsystem. Also das ist schon sehr vielfältig.
Die Planung für ein ganzes eigenes Festival liegt jetzt also in der Schublade. Wird da nochmal was draus?
KRISTJAN: Gute Frage, das hängt ein bisschen von der Stadtentwicklung ab. Ich fand den Ort ehrlicherweise ganz charmant – auch wenn jetzt zum 30-Jährigen die Kulturarena an dem Ort stattfindet, wo sie entstanden und verortet ist und das ist dann auch einfach schön. Ich komme aus Weimar und war immer neidisch auf Jena und dieses Festival. Sechs Wochen im Sommer in der Stadt mit so einem Programm, mit so einem Line-Up, so vielen Künstlern, international aufgestellt. Ich fand das immer toll, das ist was ganz Besonderes.
Gehen wir vielleicht nochmal zurück in den Jahresverlauf, um die Klammer zu schließen …
HEIKE: Die erste Phase im Herbst ist so die „Findungs- und Finanzierungsphase“. Man schaut sich das alte Jahr an, stellt neue Anträge, überlegt was man vielleicht nachjustieren kann und muss. Dann die Sponsorensuche. Darauf folgt eine recht lange Zeit der Programmphase, jedes Jahr werden neue Erfahrungen eingebracht. Man muss sich mit den Partnern abstimmen: Wann darf ich überhaupt ins Theaterhaus, was haben die für Pläne? Oder der Film e.V. – wie arbeiten die nächstes Jahr?
Danach kommt die Bewerbungsphase, in der man das Marketing vorbereitet. Und dann kommen fließend die logistischen Dinge dazu, für die eigentlich der Begriff Produktionsleitung steht. Da gibt es irgendwann auch den „point of no return“, du weißt: Ab jetzt musst du das bis Ende August durchhalten. Du kannst dem nicht mehr entfliehen.
Wie viele Menschen müsst ihr da koordinieren, wer ist alles an der Arena beteiligt?
HEIKE: Es bewegt sich zwischen 100 und 200 würde ich sagen. Das Kernteam besteht aus 30 bis 40 Leuten, die direkt dafür angestellt sind. Alle anderen machen die Zuarbeit.
Es klingt nach einem Job, bei dem – egal, wie gut man plant – immer etwas schief gehen wird.
KRISTJAN: Es kommt immer anders.
HEIKE: Ja, das ist die Herausforderung für die Produktionsleitung: Dass es eben nicht schief geht. Wenn am Nachmittag der Anruf kommt, dass eine Band im Stau steht, musst du einen kühlen Kopf bewahren und sagen: Ich lass mir was anderes einfallen.
KRISTJAN: Ja, als Head hast du immer noch einen Plan B oder C in der Tasche und gehst die Kompromisse ein, die dann eben doch einen guten Ablauf sicherstellen.
HEIKE: Es gibt Jahre, die laufen ohne Programmänderung durch und in manchen Jahren ist der Wurm drin. 2017 haben uns vier oder fünf Bands abgesagt und einer der neugebuchten Termine wurde uns einen Tag vorher wegen Krankheit wieder abgesagt. Da musst du dir was einfallen lassen. Wir haben was ziemlich Cooles gemacht, ist durch ein Flurgespräch entstanden. Mir spukten einige Bands aus Jena im Kopf rum und dann lief die Bookerin von Babayaga vorbei. Und einenTag später haben sie dann vor 1500, 2000 Leuten gespielt.
Wie sah eigentlich eure Übergabe aus, hattet ihr ein gemeinsames Jahr?
HEIKE: Kein ganzes Jahr, vielleicht waren es am Ende 4 Monate, 2 Wochen davon Festival. Das wäre schwierig geworden, wenn da jemand gekommen wäre, der den Job noch nie gemacht hat.
KRISTJAN: Ich denke, es hat geholfen, dass ich ein Teamplayer bin. Wenn du dich hier wie ein Alphatier benimmst, mit dem Kopf vorneweg nach dem Motto: „Was ich mir vorgenommen habe, das MUSS jetzt passieren!“ – dann geht das schief. Das gibt es leider immer wieder, aber hier kann ich es mir schlecht vorstellen.
HEIKE: Da sind wir uns vom Naturell sehr ähnlich, deswegen lief die Übergabe auch so problemlos.
Wenn jemand euren Job so richtig in den Sand gesetzt hätte, wie würde ich das als Zuschauer bemerken?
HEIKE: Eine Kleinigkeit hab ich immer nicht hingekriegt, das kann ich mal erzählen als lustige Geschichte (beide lachen). Bei ausverkauften Konzerten wurde irgendwann immer die Seife alle. Regelmäßig kam unser Alt-Oberbürgermeister Albrecht Schröter nach vorn und hat mich darauf hingewiesen.
Der Oberbürgermeister selbst, nicht schlecht.
HEIKE: Ja. Vielleicht ist das kein gutes Beispiel, eigentlich hat man die Aufgabe ja verteilt und es gibt jemanden, der sich kümmert.
KRISTJAN: Ich finde schon. Klar, man hat es abgegeben, aber dann ist auch der Punkt: Wie kontrolliert man das nach? Vielleicht gibt das eine Vorstellung davon, wie voll unser Kopf während des Festivals ist. Da tickern so viele Sachen hoch und runter. Ich schlaf immer schlecht und auch sehr dünn.
HEIKE: Es gibt viele Fallnetze. Am Ende muss man das Festival auch emotional zusammenhalten. Eine schlechte Arbeit würde sich im Nachgang des Festivals bemerkbar machen, weil niemand mehr Lust darauf hätte. Alle würden abspringen. Sehr verheerend wäre auch, wenn man den richtigen Punkt für den Veranstaltungsabbruch verpennt. Das ist eine reine Erfahrungssache. Ich muss sagen, das Wetter hat sich in den letzten Jahren auch sehr verändert, ist unberechenbarer geworden.
KRISTJAN: Absolut, es hat sich verändert. Vor 10 oder 15 Jahren war das nicht das gleiche Thema. Mittlerweile geht das so schnell. Generell hat die Veranstaltungssicherheit einen viel höheren Stellenwert. Man muss nicht gleich mit Woodstock kommen, aber natürlich sind diese Sachen alle so nicht mehr zulässig. Und es sind Unglücke passiert in den letzten Jahren, die mit Menschenmassen, Fluchtwegen und Panik zu tun hatten. Für die Person, die den Hut aufhat, ist so ein Konzert am Ende kein Genuss. Der Moment, an dem der Soundcheck läuft, ist der einzige, bei dem ich mal wirklich zuhören kann, vielleicht ein bis zwei Titel. Aber während die Gäste Spaß haben, bin ich im Tunnel.
(An Heike Faude) War das bei dir genauso?
HEIKE: Wenn das nicht so ist, dann machst du deinen Job falsch.
KRISTJAN: Lieblingsband und in der Menge stehen, das hab ich im Job noch nicht erlebt.
HEIKE: Mich hätte man auch nicht mit einem Glas Wein erwischt.
Auch nicht nach der Zugabe?
HEIKE: Da ist noch nichts fertig. Die Zuschauer müssen ja noch alle vom Platz. Und die Band hat noch nicht eingepackt.
KRISTJAN: Ja, wenn die verladen haben und alles ist auf den Null-Zustand für den nächsten Tag gebracht, dann ist mal ein kurzes Innehalten möglich.
Wie lange ist denn dann so ein Tag insgesamt?
KRISTJAN: Das dürfen wir nicht sagen (beide lachen). Am Ende bist du einfach da, den ganzen Tag. Wenn jemand mit einem Problem oder einer Lösung kommt, die kommen immer zu dir. Und du bist da.
Wie erlebt ihr nach so einem langen Tag solche Momente wie bei Faber, wenn die Band 22 Uhr unplugged noch eine halbe oder ganze Stunde drauflegt?
KRISTJAN: Ich find’s schön. Damit kann ich total gut leben. Die Leute gehen super glücklich nach Hause und tragen das nach außen. Das ist am Ende das, was wir wollen. Das sehe ich als großes Kompliment für unsere Arbeit, wenn sich die Künstler so wohlfühlen, dass sie sowas machen. Wenn die Bands auf vielen großen Festivals so beengt sind, sowohl im Backstage als auch mit ihren 30 bis 60 Minuten auf der Bühne, ist einfach kein Platz für sowas.
HEIKE: Viel schlimmer ist es, wenn die Band nach 45 bis 60 Minuten von der Bühne geht. (Heike lacht, weil Kristjan die Hände vors Gesicht geschlagen hat). Du versuchst vielleicht hinter der Bühne kurz mit denen zu reden: „Spielt noch eine Zugabe!“. Aber es ist ein ganz beschissener Moment.
KRISTJAN: Ja.
HEIKE: Da merkst du richtig, wie dir alles aus den Fingern gleitet. Weil im Kopf der Film gespielt wird, was jetzt alles kommt: Die Zuschauer, die unglücklich rausgehen und das sofort am Personal auslassen.
KRISTJAN: Es ist so ein hässlicher Moment, das kann ich nur bestätigen. Das ist teils auch den großen Festivals geschuldet, bei denen nur die 60 Minuten gehen.
HEIKE: Bei Adam Green war es zum Beispiel so, er ist dann aber nochmal rausgekommen und hat von vorn angefangen.
KRISTJAN: Bei mir war es bei den Parcels, das haben die Leute extrem gefeiert und es war super. Aber nach 60 Minuten gingen sie von der Bühne und kamen nicht wieder raus. Wir hatten noch eine kleine Vorband, weil wir wussten, da kommt nicht so viel. Aber es ist natürlich schade.
Bei Giant Rooks war es auch mal sehr knapp, sie kamen dann raus und haben ‚Wild Stare‘ einfach nochmal gespielt.
KRISTJAN: Ja, die haben das ganz transparent gemacht: „Wir haben nicht so viel.“ In dem Jahr hatten die ja auch einen mega Aufstieg. Die könnten wir heute vermutlich gar nicht mehr machen. Als Einzelkonzert hatten sie auch noch nicht vor 3000 Leuten gespielt, da waren sie hin und weg.
Findet ihr es schade, dass euer Beruf so unsichtbar bleibt? (Kristjan lacht) Ich meine für die Zuschauer am Abend.
KRISTJAN: Ich mach meinen Beruf gern und muss nicht auf der großen Bühne stehen. Ich möchte, dass die Arbeit intern gesehen und honoriert wird. Aber zu sagen: „Klatscht mal für mich!“ – das brauche ich nicht.
HEIKE: Am Abend ist es wunderbar, unsichtbar zu sein. Gerade wenn es Probleme gibt (beide lachen). Ansonsten habe ich mich immer ausreichend sichtbar gefühlt. Wir haben tausend Interviews. Ich glaube, die Einschätzung ist nicht ganz richtig.
KRISTJAN: Am Ende ist man an so einem Abend schon sichtbar für alle, die Bescheid wissen. Manchmal wünsche ich mir einen kleinen Tunnel, in dem ich von A nach B laufen kann, ohne dass dich jemand anquatscht.
Oder einen Tarnumhang?
KRISTJAN: Sowas wäre ganz hilfreich.
HEIKE: Es ist auch eine Typfrage. Jemand, der sichtbar sein will, kann sich sein Podium holen. Kristjan hätte auch vor jedem Konzert eine Ansprache halten können.
KRISTJAN: Das ist dann wieder diese Alphafrage.
HEIKE: Ich würde die These wagen, dass man als Alphamensch ungeeignet ist für eine Produktionsleitung.
KRISTJAN: Ja, es gibt auf jeden Fall deutlich mehr Reibung.
Ich würde die These wagen, dass man auch für das Amt eines russischen Präsidenten als Alphamensch ungeeignet ist.
HEIKE: Es gibt jobs, da fällt es weniger auf.
Letzte Frage: Kulturarbeit in Thüringen war vermutlich noch nie leicht, in den letzten beiden Jahren nochmal besonders schwierig. Wie schaut ihr unter diesem Stern auf die nächsten Jahre der Arena?
HEIKE: Meine größte Sorge sind sich verändernde politische Verhältnisse. Den Zuschuss für das Theaterhaus wollte die AfD auf 0 € kürzen. Solche Anträge gibt es im Stadtrat. Die freie Szene oder die, die kritische Kunst machen, sind dadurch nochmal besonders gefährdet. Bei der Kulturarena sehe ich das weniger, da ist man – egal welcher Strömung man angehört – eher bereit, das für sich zu nutzen. Ich denke allerdings nicht, dass es allein durch Corona langfristigen Schaden in der Kultur geben wird.
KRISTJAN: Man macht sich ein bisschen Sorgen, dass sich viele Leute andere jobs gesucht haben. Da müssen wir sehen, wie uns das diesen Sommer belasten wird. Einige Druckereien haben zugemacht, manche mit 150-jähriger Geschichte. Das ist echt bitter. Eine große Hoffnung ist, dass wir im Herbst nicht wieder am selben Punkt wie vor zwei Jahren stehen. Ob die erfüllt wird, weiß keiner. Da hätte ich gern mehr Weitblick und mehr Sicherheit.
HEIKE: Ich bin ein bisschen gehemmt seit gestern (gemeint ist der 24.02.22, Tag des russischen Einmarschs in die Ukraine). Mir macht es Sorgen, ob die Welt kippt. Da geht es nicht mehr um Fragen wie „Kriegt die Hochkultur mehr als die Subkultur?“. Wenn die Freiheit weg ist, ist alles weg.
Ich danke für eure Zeit und das schöne Gespräch.
Friedrich Herrmann: 30 Jahre Kulturarena – was für ein schöner Anlass, um all die Menschen kennenzulernen, die diesem herausragenden Festival über die Jahre ihren Stempel aufgedrückt haben! Als Stadtschreiber mache ich genau das – zusammen mit Florian Ernst. Lasst gern Feedback da, hier in den Kommentaren, auf meiner Facebookseite oder bei Instagram. Ich freu mich sehr auf eure Nachrichten!