Es geht bergab
(Pindar)
Wer hätte gedacht, dass ich tatsächlich einmal in die Kanalisation Jenas absteigen werde. In der Annahme, dass der über 100 Jahre alte Schietrumpftunnel am Camsdorfer Ufer vor allem Regenwasser abtransportiert, frage ich vor Ort bei den Mitarbeitern vom Zweckverband JenaWasser (Stadtwerke Jena) nach, ob es wirklich vonnöten sei, Gasmessungen durchzuführen, um unbeschadet die Unterwelt betreten zu können. Man beantwortet mir diese Sicherheitsmaßnahme damit, dass ja auch Laub giftige Faulgase bilden kann. Ein erster Blick in den Schacht kann den braunen Berg dort unten nicht wirklich zuordnen. Als Uwe Germar, Produzent des Filmes, der begleitend zu einer Ausstellung über die Geschichte des Jenaer Wassers entsteht, seinen Gummistiefel versehentlich in diese braune matschige Masse versenkt, ist mir eindeutig klar, dass der Abwassertunnel nicht nur Regenwasser, sondern auch die Notdurft der Menschen aus einem der östlichen Gebiete Jenas gen Kläranlage transportiert. Die optischen Eindrücke der Tunnelwände, die teils mit Klinkern verblendet sind, teils den Blick auf Sandstein wie auf einen geologischer Aufschluss preisgeben, lassen den herben Duft, der hier unten herrscht, schnell vergessen. Wir wagen uns immer weiter in den Tunnel vor – teils watend durch die Mitte, teils auf den glitschigen Absätzen am Rand. ‚Jetzt nur nicht hinfallen‘, denke ich die ganze Zeit. Ausnahmsweise scheint mein Schutzengel nicht zu schlafen und ich komme wohlbehalten durch und noch relativ sauber wieder aus dem Tunnel an die Oberfläche, um den Nachmittag in der Zentralen Kläranlage Jenas verbringen zu können.
„In unsauberm Wasser mag man sich nicht reinwaschen.“
(Sprichwort)
Die meisten Menschen machen sich keine Gedanken darüber, was mit dem Schmutzwasser ihres Haushaltes passiert, nachdem sie bspw. die Toilettenspülung betätigt haben. Ansonsten wäre es kaum zu erklären, was alles über das stille Örtchen im Abwasser landet und dann aufwendig und kostenintensiv in unseren Kläranlagen in unterschiedlichen Reinigungsstufen entfernt werden muss. Und damit meine ich nicht das von der kleinen Schwester im Streit absichtlich im Klo versenkte Lieblingsspielzeugauto des bösen großen Bruders oder das Gebiss, das beim Spülvorgang versehentlich seinen angestammten Platz im Mund verlässt. Was alles aus den Grobrechen gefischt wird, kann man sich staunend in der Zentralen Kläranlage Jena anschauen.
Tatsächlich ist vielen Menschen gar nicht bewusst, dass das Abwasser, das wir fleißig in unseren Haushalten produzieren, auch zu einer Gefahr für unsere Gewässer und sogar für unser Trinkwasser werden kann. Da die meisten Kläranlagen noch nicht über eine vierte Reinigungsstufe verfügen, die bisher übrigens auch noch nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, können einige Mikroschadstoffe, die mit dem Abwasser in die Kläranlagen gelangen, nicht herausgefiltert werden. Das sind auch Stoffe, die täglich in jedem Haushalt weggespült werden, wie Chemikalien aus Wasch- und Reinigungsmitteln, Arzneimittel und Hormone, Mikroplastik, Weichmacher etc. pp. Diese anthropogenen Spurenstoffe können oft nicht oder nicht vollständig gefiltert, abgebaut und zurückgehalten werden. Deshalb gelangen sie in die Gewässer, teilweise auch ins Grundwasser und damit möglicherweise sogar ins Trinkwasser. Sie schädigen also nicht nur Gewässerlebewesen, sondern letztlich uns selbst.
Nun könnte man meinen, dass sich gerade diejenigen, die sich beruflich mit unseren Hinterlassenschaften beschäftigen, zunehmend abstumpfen gegenüber den endlosen Problemen der Abwasserbelastung, vor allem hinsichtlich der Gleichgültigkeit, ja oft schon Ignoranz, von uns Abwasserproduzenten darüber, was nicht in die Toilette oder die häuslichen Abflüsse gehört. Wie oft handeln wir nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“, wenn wir die Spültaste betätigen, obwohl wir wissen, dass die Küchenabfälle oder das Feuchttuch nicht in die Toilette gehören. Im Laufe der Dreharbeiten fällt mir jedoch immer wieder die Begeisterung und das Engagement der Mitarbeiter:innen von JenaWasser und anderen Experten, die sich beruflich mit dem Bereich Abwasser beschäftigen oder beschäftigt haben, auf. Technische Neuerungen der Abwasserleitungsnetze, die Funktionsweise der Zentralen Kläranlage oder für die Stadthygiene wegweisende Möglichkeiten der Abwasseruntersuchung werden uns genauso enthusiastisch erklärt und vorgeführt, wie das Maskottchen des Bereichs Abwasser, der Klärbär, der für die Filmaufnahmen immer wieder ins Bild gerückt wird. Dass die Mitarbeiter:innen ihr Arbeitsleben mit solch einer Leidenschaft einem Bereich des menschlichen Lebens widmen, zu dem wir alle „beitragen“, und auch gern darüber berichten, verdient meinen vollsten Respekt.
„Trink Wasser wie ein Ochs und Wein wie ein König.„
(Sprichwort)
Jeden Tag fließen natürlich nicht nur zigtausend Liter Abwasser durch die Leitungsnetze des Zweckverbandes JenaWasser, sondern auch mehrere Millionen Liter Wasser. Denn JenaWasser bzw. die Stadtwerke Jena sorgen neben der Abwasserentsorgung natürlich auch für eine zuverlässige und qualitativ hochwertige Versorgung mit Trinkwasser. Daher darf natürlich die Jenaer Trinkwasserversorgung auch im Filmbeitrag nicht fehlen. Da Trinkwasser ein Lebensmittel ist, erfordert es im Umgang und Gebrauch besondere Sorgfalt. Daher werden auch an Planung, Bau, Betrieb und die Instandhaltung der Versorgungsanlagen besondere Anforderungen, vor allem hinsichtlich Sauberkeit und bakteriologischer Reinheit, gestellt. Und so ist es auch: Dort, wo wir drehen, wirkt es klinisch rein: im Wasserwerk Burgau oder im Hochbehälter Rautal könnte man sicherlich bedenkenlos vom Boden essen. Wie im Bereich Abwasser bemerkt man auch hier in den Gesprächen und Interviews mit den Mitarbeiter:innen schnell die Begeisterung für die eigene Arbeit. Vielleicht liegt dies auch an der wichtigen Aufgabe, die Wasserversorger erfüllen, denn schließlich ist sauberes Trinkwasser und eine nachhaltige Versorgung mit dem kostbaren Gut entscheidend für Gesundheit und Ernährung.
Wie viele Menschen sich in unserer Stadt mit dem Thema Wasser beschäftigen, realisiere ich erst in der Vorbereitung der Ausstellung und des Filmbeitrages. Es sind bei Weitem nicht nur diejenigen, die im Bereich Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung und -reinigung arbeiten. Die Ziele sind hoch gesteckt: So will bspw. der vom Lehrstuhl Technische Umweltchemie der Universität Jena initiierte Thüringer Wasser-Innovationscluster (ThWIC) mit verschiedenen Partnern aus Forschung, Wirtschaft, öffentlichem Sektor und Zivilgesellschaft das Wassermanagement der Zukunft entwickeln. Technologische und soziale Innovationen sollen für eine nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, eine intelligente Wasserver- und -entsorgung sowie eine dauerhafte und ausreichende Verfügbarkeit sauberen, bezahlbaren Wassers sorgen.
„Ohne Wasser gibt es kein Leben.“
(Europäische Wasser-Charta, Straßburg 1968)
Auch ich habe mir in Vorbereitung der Ausstellung Gedanken gemacht. Schließlich ist Süßwasser Lebensgrundlage für Mensch und Natur, Energiequelle, Rohstoff und zunehmend wichtiger Wirtschaftsfaktor. Trinkwasser ist vor allem bei uns für viele ein selbstverständliches Gut. Aber wie lange noch? Durch Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum wird immer stärker auf begrenzte Süßwasserressourcen zugegriffen. Heute schon haben 2,2 Milliarden Menschen weltweit keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, ganz zu schweigen von den 3,6 Milliarden Menschen, die nicht über hygienische Sanitäranlagen verfügen. Auch die Folgen des Klimawandels mit Dürreperioden und Starkregenereignissen sorgen vielerorts für eine weitere Verknappung des kostbaren Gutes. Durch höhere Temperaturen verdunstet mehr Wasser, Flüsse trocknen aus, Gletscher schmelzen. Mit zunehmender Trockenheit sinkt der Grundwasserspiegel, Böden trocknen aus. Bei Starkregen und Hochwasser können die Wassermassen dagegen nicht in die Böden einsickern, sondern laufen ungehindert ab und fehlen dann dem Grundwasser. Da der lebenswichtige Rohstoff eine enorme ökonomische Bedeutung hat, birgt er auch erhebliches politisches Konfliktpotential. Noch ist Deutschland ein wasserreiches Land. Dennoch ist eine Verknappung des Trinkwassers an einzelnen Orten auch schon hier zu spüren. Das liegt nicht nur an Dürre- und Hitzeperioden, sondern auch an regionalen Unterschieden, denn sowohl Niederschlagsmengen als auch Grundwasservorkommen sind regional unterschiedlich verteilt.
Die Ausstellung, die wir im Februar nächsten Jahres im Stadtmuseum Jena eröffnen, soll daher nicht nur die Geschichte der Jenaer Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung und -behandlung bis in die Gegenwart nachzeichnen, sondern auch die Bedeutsamkeit des Trinkwassers für den Planeten und seine Lebewesen aufzeigen. Sie verweist ebenso auf die Entwicklung von Wasserinfrastrukturen wie auf die alltägliche Nutzung von Wasser in Industrie und Privathaushalten. Mit Blick auf die Gegenwart können aktuelle Konflikte der Wassernutzung, aber auch moderne Wassertechnologien nicht ausgespart werden. Denn auch Jena verschließt sich nicht dem Druck nach Innovationen und neuen Ideen für ein „Wassermanagement der Zukunft“: Ganz gleich, ob es das Projekt zur digitalen Kanalnetzsteuerung bei JenaWasser ist, die Entwicklung von Methoden und Lösungen für das Abwassermonitoring durch Analytik Jena oder Forschungen zu einem nachhaltigen Wassermanagement beim Thüringer Wassercluster: alle Überlegungen und Projekte dienen einem dringend notwendigen nachhaltigen Wasser- und Abwassermanagement.
„Wasser ist Leben, und sauberes Wasser bedeutet Gesundheit.„
(Audrey Hepburn)
Jena ist schon seit langem wegweisend in puncto Wasserhygiene. Nicht zuletzt hängt dies mit dem damals weltweit bekannten Arzt und Hygieniker August Gärtner (1848–1934) zusammen, der 1886 – auf Vorschlag von Robert Koch – den neu geschaffenen Lehrstuhl für Hygiene und Bakteriologie an der Jenaer Universität übernahm. „Sauberes Wasser bedeutet Gesundheit“ könnte tatsächlich einer der Leitsprüche Gärtners sein, der sich vor über hundert Jahren in Jena und der ganzen Welt um die Wasserhygiene verdient gemacht hat. Seine Erkenntnisse, aber auch die von anderen Jenaer Wissenschaftler:innen, die vor und mit ihm gewirkt haben, wurden wegweisend im Bereich Trinkwasserhygiene und damit zusammenhängend der Abwasserentsorgung. So ist Gärtners Anspruch auch heute noch zutreffend, dass Trinkwasser „frei von Krankheitserregern“ sein muss und „gern genossen wird“. Es „soll möglichst gleichmäßig kühl, farblos und klar, frei von fremdartigem Geruch und Geschmack, und frei von solchen Stoffen sein, die vermöge ihrer Herkunft oder aus anderen Gründen Ekelgefühle zu erzeugen vermögen“. Diese Erwartungen an die Beschaffenheit des Trinkwassers erscheinen uns heute selbstverständlich. Vor etwas mehr als 100 Jahren, als Gärtner in der als „Wasserbibel“ bekannt gewordenen „Hygiene des Trinkwassers“ die genannten Kriterien formulierte, waren sie es keineswegs. Glücklicherweise wissen wir heute nicht mehr, wie das Wasser in den Städten vor der modernen Trinkwasserversorgung gerochen und geschmeckt hat. Dank Menschen wie August Gärtner ist Leitungswasser in Deutschland gegenwärtig eines der am strengsten kontrollierten Lebensmittel, qualitativ hochwertig und bedenkenlos genießbar. Und dank Menschen wie August Gärtner sorgt die fachgerechte Entsorgung von Abwasser dafür, dass eine Belastung des Trinkwassers durch Abwasser im Laufe der Zeit stark eingedämmt wurde.
Die künftige Herausforderung besteht in einer langfristigen Sicherung von Menge und Qualität vorhandener Wasserressourcen sowohl für uns Menschen als auch für die natürlichen Ökosysteme. Gedacht werden muss dies unter sich teilweise rasant und weltweit ändernden Rahmenbedingungen wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Änderung der Landnutzung und Industrialisierung. Da Wasserressourcen einerseits regional unterschiedlich verteilt sind, andererseits auch regional unterschiedlich stark genutzt werden, müssen – immer im Hinblick auf globale Prozesse des Wandels – die regionalen Wassernutzungen in den verschiedenen Sektoren (Trinkwasser, Brauchwasser, Landwirtschaft, Energiegewinnung usw.) aufeinander abgestimmt werden. Beim Schutz des Wassers hat das Motto „global denken, lokal handeln“ demzufolge eine ganz konkrete Bedeutung.
Dabei können wir alle zur Sicherung einer nachhaltigen Trinkwasserversorgung beitragen, indem wir mit Wasser möglichst sorgsam und sparsam umgehen. Dies betrifft zum einen das tatsächlich verbrauchte Trinkwasser im Haushalt, zumal ein geringerer Wasserverbrauch auch weniger Abwasser produziert und Energie für die Wasserver- und Abwasserentsorgung einspart. Wer nachhaltig den Wasserverbrauch reduzieren will, sollte aber zum anderen auch bewusster leben und einkaufen, um das sogenannte virtuelle Wasser einzusparen. Der Kauf saisonaler und regionaler Lebensmittel, der Konsum von weniger Fleisch oder eine langzeitige Nutzung und vielleicht sogar Reparatur von Produkten sind einige der Möglichkeiten, den eigenen Wasser-Fußabdruck zu senken. Damit helfen wir auch anderen Regionen in der Welt, denn tatsächlich kommen viele wasserintensive Lebensmittel und Produkte unseres Alltags aus Regionen, die unter Wassermangel leiden.
Die Ausstellung im Jenaer Stadtmuseum möchte – ohne den Zeigefinger zu erheben – über die vielfältige Bedeutung von Wasser aufklären und für einen nachhaltigen Umgang mit der begrenzten und ungleich verteilten kostbaren Ressource sensibilisieren, damit es für alle „in ausreichender Menge vorhanden“ ist, wie Gärtner in seiner „Wasserbibel“ schreibt.
Wir danken Teresa Thieme, Kuratorin Stadtmuseum Jena (JenaKultur) für diesen informativen Beitrag, der Sie und uns hinter die Kulissen einer Ausstellungsentstehung schauen lässt.
Und Sie, liebe Leserin, lieber Leser: Beschäftigten Sie sich mit dem Thema Wasser und Nachhaltigkeit? Was schätzen Sie, wir groß ist Ihr Wasser-Fußabdruck? Werden Sie die Ausstellung im Stadtmuseum besuchen?