Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig präzisierte zwischen 2007 und 2011 die Kriterien, nach denen sich entscheidet, ob es bei einer beitragspflichtigen Straßenherstellung zur Erhebung von Erschließungs- oder Straßen(aus)baubeiträgen kommt.
In seinem Urteil vom 11. Juli 2007 (BVerwG 9 C 5.06) nannte das oberste deutsche Verwaltungsgericht Kommunen wie Anliegern in den Bundesländern des Beitrittsgebiets vom Oktober 1990 klarstellende Voraussetzungen zur Anwendung des „richtigen“ Beitragserhebungsgesetzes, also BauGB oder KAG. Diese Klärung ist notwendig bevor überhaupt irgend eine andere beitragsrechtliche Frage zu beantworten ist. Das Gericht nahm dabei im Sommer 2007 zu mehreren bislang nicht geklärten Auslegungsfragen im Zusammenhang mit § 242 Abs. 9 BauGB Stellung. Im Gesetzestext heißt es u.a.:
„Für Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen (…), die vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind, kann nach diesem Gesetz ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden.“
Diese Vorschrift des § 242 Abs. 9 Satz 1 Baugesetzbuch (sie entstand aus dem nach vorheriger Fassung in § 246 a Abs. 4 BauGB erfassten Sachverhalt) regelt, ob eine öffentliche Erschließungsanlage (Straße, Weg, Platz etc.) auf dem ehemaligen Gebiet der DDR bereits vor dem 03. Oktober 1990 „erstmalig endgültig fertig gestellt“ war oder nicht.
Umstritten war vor allem die Frage, ob eine Straße am 03. Oktober 1990 als fertig gestellt anzusehen sei, wenn sie vor dem Stichtag als solche benutzbar war oder für den öffentlichen Verkehr benutzt wurde. Hierbei ging es um den Rechtsgrundsatz, dass eine Erschließungsanlage, die irgendwann einmal nach den seinerzeit maßgeblichen Voraussetzungen endgültig hergestellt wurde, später nicht wieder in einen Zustand der Unfertigkeit zurückversetzt werden kann.
Das BVerwG stellte in seinem Urteil vom 11. Juli 2007 die Bedingungen klar, unter welchen eine Straße, ein Weg oder Platz im Sinne des § 242 Abs. 9 S. 2 BauGB endgültig hergestellt ist. Die zwei Bewertungskriterien der Bunderverwaltungsgerichts waren, aufbauend auf Satz 2 des § 242 Abs. 9 BauGB,
„Bereits hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind die einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertig gestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen.“
1.) das „technische Ausbauprogramm“ und 2.) die „örtlichen Ausbaugepflogenheiten“. Das heißt: Ist die Straße zwar benutzbar und/oder wird vom öffentlichen Verkehr genutzt, steht oder stehen aber nach dem Ausbauprogramm Bauteile aus, die entweder (noch) nicht fertig gestellt waren oder ganz fehlten (beispielsweise Gehwege, Straßenbeleuchtung oder Straßenentwässerung), so ist diese Erschließungsanlage nach dem erkennbaren Willen der Kommune zum Stichtag noch NICHT als „erstmalig endgültig fertig gestellt“ zu betrachten.
Zur Klarstellung der Anforderungen an ein technisches Ausbauprogramm fand das oberste Verwaltungsgericht im Sommer 2007 folgende Definition: es müsse dies
„ein Plan (sein), der Vorgaben zur bautechnischen Herstellung der Erschließungsanlage oder deren Teile enthält.“
Aus dem Planerfordernis folgt, dass das Bauprogramm in irgendeiner Form schriftlich niedergelegt sein muss, z.B. in einer Straßenakte.
Doch auch nach dem Sommer 2007 herrschte eine gewisse Unklarheit bezüglich der pauschal genannten „örtlichen Ausbaugepflogenheiten“, nach denen eine öffentliche Erschließungsanlage zum 03. Oktober 1990 bautechnisch fertig gestellt sein könnte, so dass durch das Bundesverwaltungsgericht in mehreren späteren Entscheidungen, die durch weitere Gerichte ergänzt wurden, eine Art Katalog entwickelt wurde, was unter „örtlichen Ausbaugepflogenheiten“ zu verstehen ist – letztmalig im Jahre 2016.
So entschied man am BVerwG bzw. anderen Verwaltungsgerichten etwa, dass eine zu DDR-Zeiten vorhandene Straße ohne Unterbau nicht den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entspricht, wenn in der Nähe vergleichbar genutzte Straßen bestehen, die „einen hinreichend befestigten Fahrbahnaufbau“ vorweisen (Urteil vom 22. November 2016 9 C 25.15). Außerdem legte das Bundesverwaltungsgericht in einem anderen Streitfall fest (Urteil vom 10. Juni 2009 – 9 C 2.08), dass eine Erschließungsanlage den örtlichen Ausbaugepflogenheiten NICHT entspricht, wenn die zum 03. Oktober 1990 über keine eigene Straßenbeleuchtung verfügt. Ebenfalls zum Stichtag NICHT erstmalig endgültig hergestellt sind entsprechend einer Entscheidung aus Brandenburg (VG Potsdam, Urteil vom 16. August 2010 – 12 K 2219/06) Straßen, Wege oder Plätze ohne Anlagen zu ihrer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung.
Hinsichtlich der Bewertung einer Erschließungsanlage verweist das Bundesgericht stets auf die Prüfung des Einzelfalls. Allgemein führt es aus, es sei entscheidend, welcher Ausbaustandard
„bei der Mehrheit der Erschließungsanlagen (einer Kommune) oder deren Teilen verwirklicht wurde, wobei alle verfügbaren Erkenntnisquellen zu ermitteln sind.“
– also beispielsweise: Akten, Rats- bzw. Stadtverordnetenbeschlüsse, Verzeichnisse, Fotos.
Fazit: Die Frage der rechtlich einwandfreien Klärung der teilweise weit in der Vergangenheit liegenden Straßenverhältnisse im Einzelfall ist für die Stadt Jena wie die beitragspflichtigen GrundstückseigentümerInnen entscheidend, greift sie doch tief in die Finanzen ein. Entweder führt sie zur Zulässigkeit der Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach dem BauGB mit 90% Anliegeranteil oder zu milderen Beitragslasten nach dem Thüringer Kommunalabgabengesetz, jeweils in Verbindung mit der entsprechenden Satzung der Stadt Jena. / RS